„Die Geschichte ist ein Känguru“ – Das gibt Hoffnung!

im Gespräch mit Dr. Dr. Thor v. Waldstein vom 31. März 2021.

Während im 19. Jahrhundert Volk und Nation aktionistische Zukunftsbegriffe waren, gelten sie heute als reaktionär und verdächtig. Wer sie ohne ausschweifende Distanzierung verwendet, riskiert sogar, ein Prüffall für den Inlandsgeheimdienst zu werden. Davon läßt sich Thor von Waldstein allerdings nicht beeindrucken und zeigt sich im Gespräch mit Manuscriptum optimistisch, daß der Zauber des Eigenen ganz schnell ungeahnte Kräfte freisetzen kann.

Manuscriptum: Sehr geehrter Herr v. Waldstein, seit einiger Zeit ist mit der AfD eine patriotische Kraft im Bundestag vertreten. Woran liegt es aber, dass sich weiterhin nur wenige Experten, man könnte fast sagen: Exoten, intensiv mit der politischen Ideengeschichte der zentralen Begriffe „Volk“ und „Nation“ befassen?

Thor v. Waldstein: Der Einzug der AfD in die 16 Landesparlamente und in den Bundestag 2017 erfolgte weitgehend ohne eine Änderung des nationvergessenen, besser: volksfeindlichen, Mindset der Bundesrepublik. Wenn Sie so wollen, war und ist die AfD auch heute noch eine Dame ohne metapolitischen Unterleib. Es ist aber eine Illusion, auf nachhaltige Erfolge bei Wahlen zu hoffen, ohne daß die auf Selbstverleugnung gedrillte Intelligentsia, die die Öffentlichkeit dieses Staates fast lückenlos beherrscht, entthront wird.

In der Widerstandsszenerie, die sich allmählich gegen die unter der Corona-Flagge segelnden Dystopien aus den nordkalifornischen Tälern heranzubilden beginnt, könnten Volk und Nation wieder ganz ungewohnte Quellkräfte zuwachsen. Wenn diese stolzen Worte angeblich so verstaubt sind und von ihnen keine politische Attraktionskraft mehr ausgehen würde, wäre eigentlich nicht recht verständlich, warum diese Begriffe permanent mit derselben, seit 1945 im Einsatz befindlichen braunen Soßenmischung übergossen werden.

Tatsächlich wird den Deutschen, wenn sie denn eine Zukunft haben wollen, gar nichts anderes übrigbleiben, als sich auf ihre Identität als Volk und Nation rückzubesinnen.

Ketzerisch gefragt: Liegt dieses Desinteresse an den tieferen Wurzeln der eigenen Identität vielleicht daran, dass der Traum von einer Renaissance der deutschen Nation „politische Romantik“ (Carl Schmitt) ist?

Ich teile Ihre durch die Fragestellung hindurchschimmernde Skepsis an dem geistesgeschichtlichen Phänomen der Romantik nicht. Aufbauend auf der Gedankenarbeit von im Wesentlichen zwei Männern – Goethe und Herder – hat die deutsche Romantik im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zu dem „erste(n) große(n) Gegenschlag gegen die kapitalistische Technisierung und Rationalisierung der Welt“ (Christoph Steding) ausgeholt.

Daneben wäre die historische Wegstrecke von den Befreiungskriegen bis zur Reichsgründung ohne den grundlegenden Stimmungsumschwung, den die Romantik in Deutschland geschaffen hatte, gar nicht gangbar gewesen. Das bleibt ein Meisterstück des deutschen Geistes, dem Carl Schmitt in seinem, von Ihnen angesprochenen, übrigens stilistisch besten Werk inhaltlich vielleicht nicht ganz gerecht geworden ist.

Wenn die Deutschen in den unruhigen Jahren, die vor uns liegen, ihre geschichtspolitischen Mühlsteine ablegen und sich von dem „ganze(n) ausgehöhlte(n) Wesen des Westens“ (Martin Heidegger) abwenden, könnte sich die Renaissance der deutschen Nation schnell von einem Traum zu einer Hoffnung und dann von einer Hoffnung zu einer Wirklichkeit wandeln.

Die Geschichte ist ein Känguru, sie liebt es, sich in Sprüngen fortzubewegen; und nur derjenige, der um diese Unberechenbarkeit weiß, versteht, warum die Herrschenden zu allen Zeiten Grund für ihre Nervosität hatten.

Es gibt inzwischen selbst auf der politischen Rechten nicht mehr wenige, die sich ein starkes Europa wünschen, weil nur eine „Festung Europa“ die Massenmigration aus Afrika und Asien beenden könne und Europa nur als Einheit geopolitisch eine relevante Rolle zugetraut wird. Was sagen Sie zu solchen Überlegungen?

Entgegen anderslautender Propaganda aus Brüssel und Straßburg sind der nationale Gedanke und die europäische Idee keine Gegensätze. Ein starkes Europa wird es erst

dann geben, wenn die atlantisch infizierte EU, in der europafeindliche bambini americani den Ton angeben und in der Menschenrechte künstlich gegen Völkerrechte in Stellunggebracht werden, einem Europa der Vaterländer gewichen ist.

Das sehen übrigens jenseits der ungeschützten Grenzen dieses seltsamen Landes die meisten Europäer ähnlich –von Katalonien bis nach Estland und von Schottland bis nach Ungarn. Nur in (bundes)deutschen, sozialwissenschaftlich desorientierten Köpfen irrlichtert die Vorstellung, der Europagedanke erheische die Abschaffung der europäischen Völker, zuallererst natürlich die Abräumung der „Deutschen mit Nazihintergrund“.

Tatsächlich wird in dem asiatischen Jahrhundert, in dem wir leben, der westeurasische Landzipfel namens Europa nur dann eine Überlebenschance haben, wenn er sich auf seine ethnische Vielfalt besinntund sich als geopolitisch gepanzerte Einheit formiert, um den – längst als außenpolitischeWaffe instrumentalisierten – Migrationswellen zu begegnen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch über den „Zauber des Eigenen“ die Bundesrepublik als „Volksverabschiedungsrepublik“. Dieser „Negativpatriotismus“ geht inzwischen so weit, Parteien wie die AfD und die diversen ihr nahestehenden Bürgerbewegungen als „verfassungsfeindlich“ und damit beinahe kriminell zu brandmarken. Welchen Umgang empfehlen Sie mit diesen Schmähungen, die ja z.B. für manchen Beamten und Arbeitnehmer ganz handfeste Konsequenzen haben können?

Die Linienrichter des 1950 von den westlichen Besatzungsmächten installierten Inlandsgeheimdienstes der Bundesrepublik stecken mit ihren Fähnchen schon seit vielen Jahrzehnten das Feld des hierzulande Sagbaren ab. Bei den parteipolitischen Vorläufern der AfD, insbesondere der NPD der 1960er Jahre und den Republikanern der 1980/90er Jahre, ist es mit dem Kainsmal der „Verfassungsfeindlichkeit“ jeweils erfolgreich gelungen, den politischen Wettbewerber zu stigmatisieren und vor allem dessen soziologischen Mittelbau zu torpedieren, ohne den eine bodenständige, politische Partei in ihrer Mitgliederstruktur kaum verzichten kann (Angestellte, Beamte, Soldaten, Polizisten, etc.). Warum sollten die Auguren des hiesigen Machtkartells auf ein so bewährtes Mittel verzichten?

Nach meiner Beobachtung beschäftigen sich selbst führende Mitglieder der AfD leider nur selten mit den Finessen des „Demokratie-Sonderwegs Bundesrepublik“ (Josef Schüßlburner), bei dem dem Instrument des Verfassungsschutzes eine weltweit einzigartige, von dem Außenstehenden kaum zu durchschauende Sonderrolle zukommt. Es zeugt jedenfalls von einer bemerkenswerten Blauäugigkeit, wenn man glaubt, sich dieser staatlichen Pressionswerkzeuge dadurch entziehen zu können, daß man wesentliche Bestände des eigenen, zumal mit Alleinstellungsmerkmal versehenen, politischen Kapitals freiwillig über Bord wirft.

Als eine solche aberwitzige „Flucht nach vorn“ und Zerstörung des eigenen Markenkerns bewerte ich beispielsweise die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, die die AfD ausgerechnet am 18. Januar diesen Jahres abgegeben hat und in der sie in die Knie fällt vor der grundgesetzwidrigen Diktion des Bundesverfassungsgerichts, die Zugehörigkeit zum deutschen Volk orientiere sich allein an der abenteuerlichen Paßausgabepraxis der BRD. Die gerechte Strafe für einen solchen Selbstmord aus Angst vor dem Ermordetwerden folgte sogleich auf dem Fuße: Am 3. März 2021, rein zufällig elf Tage vor zwei wichtigen Landtagswahlen, verkündete der sogenannte „Verfassungschutz“, die AfD werde als „Verdachtsfall“ nunmehr unter Beobachtung gestellt.

Nicht minder skurril und politikunfähig ist auf der publizistischen Ebene die Blattlinie einer sich konservativ wähnenden Wochenzeitung aus Berlin, die, obwohl selbst zehn Jahre lang Opfer einer rechtswidrigen VS-Verfemung, Bürgerlichkeit mit BRD-Konformität verwechselt und den Herrschenden stets aufs Neue auf den vielfach erprobten Distanzeritisleim geht. Was muß eigentlich noch alles geschehen, bis es diesen Appeasementamateuren dämmert, daß der manische Haß auf das Eigene sich nicht auf die Befindlichkeit versprengter Antifa-Gruppierungen beschränkt, sondern zur Staatsräson der hier schon zu lange Regierenden aller Couleur gehört?

Schon wegen dieser dezidiert deutschfeindlichen DNA-Struktur der classe politique ist an einen fairen Wettbewerb mit Parteien, die angetreten sind, die Interessen des deutschen Volkes rückhaltlos zu vertreten, nicht zu denken. Statt dessen gilt: Souverän ist, wer als Oppositionspartei ebenso professionell wie hartnäckig Roß und Reiter der deutschen Neurose nennt, wer sine ira et studio den Deutschlandabschaffungskurs der Herrschenden angreift und wer sich schließlich bei alledem einen feuchten Kehricht darum schert, wann und an welchen Stellen die VS-Linienrichter vom phänotypischen Zuschnitt eines Herrn Haldenwang das Fähnlein emporstrecken.

Herr von Waldstein, vielen Dank für das Gespräch!

Thor von Waldstein: Der Zauber des Eigenen

Es gibt ein Unbehagen am Eigenen in Deutschland. Wurde das Volk früher begriffen als eine Seinsform, in die man hineingeboren wurde, so wähnte sich das ichverpanzerte Individuum lange Zeit frei von solchen gemeinschaftsgeprägten Lebensbildern; nationale Identität war – so schien es gerade in den Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung – einer nebulösen Weltbürgerlichkeit gewichen. Unterdessen begreifen mehr und mehr Bürger, daß in den unruhigen Jahren, die vor uns liegen, politische Gestaltungskraft nur von dem ausgehen kann, der sich seiner Wurzeln besinnt. Vor dem Hintergrund dieses Paradigmenwechsels unternimmt der Verfasser den Versuch, die Deutschen zu einer Affäre mit sich selbst zu verführen. Dazu werden die Entwicklungslinien von Volk und Nation in der deutschen Geistesgeschichte der letzten 250 Jahre nachgezeichnet. Dieses weite historisch-philosophische Panorama eröffnet Einblicke in das Verständnis der Gegenwart, die sich – im Gegensatz zu den Scheindebatten einer inszenierten Öffentlichkeit – als bestechend aktuell erweisen könnten.

Ein Gedanke zu “„Die Geschichte ist ein Känguru“ – Das gibt Hoffnung!

  1. „Die Geschichte ist ein Känguru! – Das gibt Hoffnung !“ Muss gestehen,daß mir der Name Thor von Waldstein, zwar irgendwie bekannt vorkam, aber das war es dann auch schon ( leider!). Wird sich aber nach diesem hinreissenden Interview ändern, und zwar ganz fix……

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