Übergang in den Ausnahmezustand

von Felix Menzel vom 21. Juni 2019.

Als Carl Schmitt über den Ausnahmezustand nachdachte, hatte er ein „Selbsterhaltungsrecht“ im Sinn, das es dem Staat erlaube, kurzfristig besondere Maßnahmen zu ergreifen bzw. bestimmte Gesetze zu übergehen, wenn nur dadurch der Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung verhindert werden kann. Im Mittelpunkt stand für ihn also immer die Sicherung der Existenz des Staates. Anarchie, Chaos oder ein unkontrollierbarer Bürgerkrieg sollten unter allen Umständen vermieden werden.

Heute ist das anders: Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren mehrmals das Recht suspendiert, um ihre ideologischen Grundannahmen aufrechterhalten zu können. Konkret war dies bei der Euro-Rettung, dem Ausstieg aus der Atomkraft nach Fukushima und in der Asylkrise der Fall. Was es dagegen einzuwenden gibt, hat treffend Lothar Fritze in seinem Buch über den bösen, guten Willen zum Ausdruck gebracht.

Er schreibt: „Die Repräsentanten des demokratischen Rechtsstaates sind nicht befugt, im Resultat einer spontanen Gefühlsaufwallung oder in kalkulierter Verwirklichung einer politischer Utopie die gesamte Menschheit als potenzielle Mitbürger zu behandeln und von ihrem Volk die dazu nötigen Solidaritätsleistungen zu erzwingen. Denn die ‚Rettung der Welt‘ ist kein Verfassungsziel.“

Angesprochen ist damit der fundamentale Unterschied zwischen Rechts- und Wertegemeinschaft. Eine Rechtsgemeinschaft hat sich nach Paragraphen zu richten, während eine Wertegemeinschaft auf volatilen Meinungen beruht, die durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit bzw. emotionale bis hysterische Propaganda hergestellt werden. Souverän in einer Wertegemeinschaft ist folglich, wer mediale Ausnahmezustände steuern kann und wem es gelingt, im normalen Tagesgeschäft politische Kontroversen zu verhindern, die in die falsche Richtung laufen könnten.

Da auch das Bundesverfassungsgericht eine beispiellose „Unterwerfungs- und Anpassungsgeschichte“ (Ulrich Vosgerau) hinter sich hat und von ihm leider kein Widerstand gegen den politisch korrekten Zeitgeist mehr zu erwarten ist, kommt alles auf das Volk an. Es ist die einzig verbliebene Instanz, die sich gegen Rechtsbrüche wehren könnte, indem es die verantwortungslos handelnde Regierung einfach abwählt.

Das ist freilich leichter gesagt als getan. Denn während sich die Regierung in Phase eins des Übergangs in den Ausnahmezustand damit begnügte, sich über das Recht überheblich hinwegzusetzen und aufmüpfige Bürger mit sozialer Isolation zu bedrohen, stehen wir nun an der Schwelle zu Phase zwei, die das bisher Erlebte in den Schatten stellen dürfte.

Wenn Staatssekretär Peter Tauber ungeniert fordert, der patriotischen Opposition Grundrechte zu entziehen, Sebastian Kurz in Österreich einen Putsch von oben durchführt, um die FPÖ loszuwerden, und der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz unwidersprochen in die Welt setzen kann, Sachsen solle so lange und häufig wählen, bis das Ergebnis stimmt und die AfD schlecht abschneidet, dann ist eine neue Qualität der Demokratieverachtung erreicht.

Um diesen Sprung kenntlich zu machen, müssen wir begrifflich sehr genau differenzieren und dürfen niemals voreilig zur Übertreibung neigen, weil wir dann kein Vokabular mehr für die Beschreibung der Zustände in dieser zweiten Phase haben. Bisher gibt es in Deutschland ein rigides Meinungsklima, das über Tabus, selbstauferlegte Sprachhygiene und öffentliche Diffamierungen reguliert wird.

Für Akademiker, gerade in den Geisteswissenschaften, mag das unangenehm sein. De facto ist es schon seit längerem unmöglich, die angebliche Freiheit der Universität wirklich zu nutzen. Gleiches gilt für den konventionellen Medienbetrieb, der nur für Kulturmarxisten verschiedenster Couleur ein Plätzchen frei hält.

Selbstverständlich können auch alle anderen Arbeitnehmer Probleme aufgrund ihrer Gesinnung bekommen, aber die „normale“ Altenpflegerin, der Fliesenleger oder kleine Kfz-Mechaniker dürfte von diesen Repressionen weitestgehend verschont bleiben und macht dann vielleicht heimlich in der Wahlkabine ein „falsches“ Kreuz. Sobald diese Abweichler aus der Mitte des Volkes zur quantitativ stärksten Kraft aufsteigen und sich über Jahre hinweg aus Sicht der Herrschenden als beratungsresistent erwiesen haben, helfen die alten Rezepte des subtilen Tugendterrors nicht mehr weiter.

In Österreich und den Neuen Bundesländern haben wir diesen Punkt bereits erreicht. Die politische Klasse muß sich hier entscheiden: Erkennt sie die Forderungen der schweigenden Fast-Mehrheit an oder vollendet sie den Ausnahmezustand? Tauber, Kurz und Wanderwitz haben die Tür zu Option zwei aufgestoßen. Und wo bleibt nun der Aufstand der Anständigen? Wer in der CDU hat den Demokratiefeinden in den eigenen Reihen bisher die Leviten gelesen?

Niemand, der wirklich etwas zu sagen hat, meldete sich bisher zu Wort. Das verrät viel über die generelle Bereitschaft, es nicht dabei zu belassen, die Meinungsfreiheit nur einzuschränken und demokratische Parteien nur zu behindern.

(Bild: Carl Schmitt)

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