Die zersetzende Wirkung der „Zivilgesellschaft“

von Felix Menzel vom 23. Juni 2021.

Bereits seit der Antike steht das Spannungsverhältnis des Staates zu den in ihm lebenden Gemeinschaften im Mittelpunkt zahlreicher Debatten in Philosophie und Politik. Aristoteles meinte z.B., „die aus mehreren Dörfern sich bildende Gemeinschaft“ sei „bereits der Staat“, der „das Endziel völliger Selbstgenügsamkeit (Autarkie)“ erreichen solle.

In Zeiten der Globalisierung hören sich diese Worte komisch und doch zugleich vertraut an. Komisch, weil kein Weg an internationalen Wertschöpfungsketten vorbeiführt und gerade Deutschland als Exportnation auf einen reibungslosen Warenverkehr zur Sicherung des eigenen Wohlstandes angewiesen ist. Autarkie bleibt deshalb eine Utopie und wäre selbst auf gesamteuropäischer Ebene nur annäherungsweise zu realisieren.

Dennoch haben ähnliche Begriffe wie „Suffizienz“ (Genügsamkeit) gerade in der Umwelt-, Wirtschafts- und Energiepolitik Konjunktur. Sie werden von Wachstumskritikern verwendet, um das zügellose Profitstreben des globalen Finanzkapitalismus anzuprangern und von allen Konsumenten mehr Bodenständigkeit einzufordern, um die Belastung der Natur zu verringern.

Eine vermittelnde Position nehmen bei diesem Diskurs jene Theoretiker ein, die von einer „Glokalisierung“ sprechen. Zu ihnen zählt mit Raghuram G. Rajan sogar der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), der eine Stärkung lokaler Gemeinschaften als dritte Säule neben globalen Märkten und Staaten als dringend erforderlich ansieht, um das Bedürfnis nach Nähe und Solidarität zu stillen.

Wie das auf freiwilliger Basis bewerkstelligt werden soll, kann indes kaum jemand schlüssig beantworten. Schließlich ist es jederzeit erlaubt, sich der Freiwilligen Feuerwehr anzuschließen, aufs Land zu ziehen oder eine neue Bürgerinitiative zur Vernetzung der Nachbarschaft zu gründen. Die seit einigen Jahrzehnten feststellbare Tendenz des „Übergangs von einer sozialkapital-intensiven Politik zu einer medien-intensiven, professionalisierten Politik“ (Robert Putnam) zerstört dafür allerdings die Grundlage, die in der Bereitschaft der Menschen besteht, sich im Kleinen verbindlich zu organisieren. Beliebter sind inzwischen lose Zusammenschlüsse wie „Fridays for Future“, die im Gegensatz zu klassischen Gemeinschaften keine Mitgliedspflichten kennen.

Zugehörigkeit und Sympathie werden so vorrangig medial, etwa über ein „Gefällt mir“ auf Facebook, oberflächlich zum Ausdruck gebracht. Das wiederum erweitert die Spielwiese für professionelle Lobbyarbeit, die sich darauf konzentriert, die Stimmungen der wankelmütigen Menschen im eigenen Sinne zu kanalisieren. Der Linken ist es dabei perfekt gelungen, diese Durchsetzung eigener Interessen mit dem beschönigenden Begriff der „Zivilgesellschaft“ zu bemänteln, die jedoch nur existiert, weil sie am staatlichen Tropf hängt.

Dieser subventionierte Aktivismus untergräbt den „Gemeingeist“, der Carl von Rotteck zufolge stets mit „Selbstaufopferung“ verbunden sein müsse und deshalb dem Egoismus „ewig entgegengesetzt“ bliebe. An diesem Punkt nun setzt Stefan Kofner, Professor für Immobilien- und Bauwirtschaft im sächsischen Zittau, an. In seinem neuen Buch über Gemeinsinn und Pflicht unternimmt er den Versuch, eine Gesellschaftsordnung zu skizzieren, die den Menschen weder zum flexiblen Humankapital noch zum nützlichen Idioten bestimmter Ideologen degradiert. Vielmehr geht Kofner ähnlich wie Aristoteles von einem heimatverbundenen Zoon politikon aus, das lernen müsse, sich in seinen Konsumbedürfnissen zu beschränken, um wahre Freiheit und gefestigte, innere Zufriedenheit zu erlangen. Dem Staat kommt dabei die Aufgabe zu, keine Region zurückzulassen, damit Verwurzelung überhaupt möglich ist.

Kofner erwartet sich davon auch einen Schub für die Demokratie. Denn: „Demokratische Gesellschaften funktionieren am besten, wenn bestimmte Gruppen nicht als ‚Interessengruppen‘, sondern als ‚Gemeinschaftsorganisationen‘ tätig sind, die verantwortungsbewußt mit anderen Gemeinschaftsorganisationen zusammenarbeiten, um Lösungen für transzendente gesellschaftliche und politische Probleme zu erarbeiten.“

Stefan Kofner: Gemeinsinn und Pflicht

Dieses Buch diskutiert die Rolle kommunitaristischer Ideen bei der Behandlung der Grundfragen der Wirtschafts- und Ordnungspolitik. Auf der Grundlage der kommunitaristischen Philosophie wird erstmals versucht, die theoretischen Grundlagen einer Kommunitaristischen Ökonomik zu umreißen. Da sich das Wertesystem des Kommunitarismus in wesentlichen Fragen von denen des Liberalismus und des Sozialismus unterscheidet, ergibt sich auch ein ganz anderes Verständnis der Rollen von Individuen, Unternehmen und Gemeinschaften in einer kommunitarischen Wirtschaftsordnung. Auch die Rolle des Staates ist eine gänzlich andere. Eine kommunitarische Wirtschaftsordnung zielt auf eine ethische und solidarische Vervollkommnung des Kapitalismus ab, ohne dabei einen starren Endzustand anzustreben oder einen starren Weg dahin vorzugeben. Der Kommunitarismus ist nach dem hier vertretenen Verständnis eine Graswurzelbewegung, wobei dem Staat eine aktivierende Rolle zugemessen wird.

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