Konstrukte haben keine blutende Nase!

von Felix Menzel vom 10. Juni 2021.

In den letzten Tagen und Wochen haben erstaunlich viele Prominente und Politiker gegen das „Gendern“ protestiert. Die Literaturkritikerin Elke Heidenreich gab zu Protokoll, die „Sprachverhunzung“ gehe ihr „furchtbar gegen den Strich“. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß argumentierte derweil, Gendersprache sei „nicht inklusiv und integrierend, sie ist exklusiv und grenzt aus“.

Das mag stimmen. Es ist auch durchaus komisch, dass die enthusiastischsten Multikulti-Apostel ihre politisch korrekte Sprache derart verkomplizieren, dass sie niemand mehr sprechen kann, obwohl die One World nur zu erreichen wäre, würden wir uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigen.

Trotzdem wirkt diese Form der Kritik verharmlosend. Sie ist lediglich der ängstliche Versuch, innerhalb der aufgebauten, engen ideologischen Mauern des neototalitären Sprachregimes zumindest auf einzelne Exzesse hinzuweisen. Bei diesem zögerlichen Fahne hochhalten geraten jedoch die eigentlichen Abgründe der Gender-Ideologie aus dem Blickwinkel.

Zunächst: Wir sollten das Gendern nicht als eine sprachliche Geschmacksfrage über Sternchen und Binnen-Is bagatellisieren. Ploß betont z.B.: „Privat sollte jeder so sprechen und schreiben können, wie er möchte. Wir leben in einem freien Land.“ Nur Behörden will er eine einheitliche, formal verbindliche Sprache vorschreiben. Wer so redet, hat schon verloren. Bis zum desaströs gescheiterten Bildungsexperiment „Schreiben nach Hören“ ist es da schließlich nicht mehr weit.

Sprache ist immer Ausdruck von Macht. Diese Macht wird genutzt, um Rollenbilder zu zementieren. Bettina Gruber ist deshalb zu danken, weil sie exzellent herausgearbeitet hat, daß die Gender-Ideologie ein Frontalangriff auf beide Geschlechter ist. Die Binarität der Geschlechter soll ersetzt werden durch eine diffuse Diversität, die auch etwas anderes ist als „sexuelle Vielfalt“. Denn: „Der Druck, der aufgebaut wird, geht mittlerweile nicht mehr darauf aus, Toleranz einzufordern, sondern aktiv positive Bekenntnisse zu verlangen und Personen und Institutionen, die sich passiv-neutral verhalten, als Feinde zu markieren“, analysiert Gruber richtig.

Woran liegt das nun? Der Philosoph Christoph Türcke, den man nicht oft genug loben kann, gibt dazu in seinem neuen Buch Natur und Gender die am weitesten vordringende Antwort. Ihm zufolge liegt es am „konstruktivistischen Fehlschluß“. Dieser leugne „natürliche Abweichungen“, indem er jede „natürliche Regelmäßigkeit“ zu menschgemachten Konstruktionen umdeutet. „Dazu gehört auch die seit Millionen von Jahren andauernde Regelmäßigkeit heterosexueller Zellfusion“, unterstreicht Türcke.

Die Erfolgsaussichten jeder ernsthaften Gender-Kritik hängen daher von der Stichhaltigkeit der vorgebrachten Argumente gegen den Konstruktivismus ab. „Im Ernstfall gibt es keine Konstrukte“, schreibt Michael Klonovsky gewohnt scharfzüngig. Man solle doch nur einmal den Versuch unternehmen, in einer Moschee den Islam zum Konstrukt zu erklärt, rät er. Noch interessanter ist freilich die Frage, ob die danach im eigenen Gesicht zu erwartende Faust und die daraufhin blutende Nase auch nur „Konstrukte“ sind oder eine tatsächliche Körperverletzung auch tatsächliche Schmerzen verursacht. Vermutlich dürfte eine empirische Beweisführung ein eindeutiges Ergebnis hervorbringen.

Man kann also mit einfachen Überlegungen und zugespitzter Polemik aufzeigen, daß der Konstruktivismus in Wahrheit zur Dekonstruktion aller gewachsenen Institutionen und Traditionen dienen soll. Noch einmal Klonovsky: „Wenn ich die Existenz von Völkern und Nationalcharakteren schon einmal prophylaktisch und bis zurück in die Vergangenheit bestreite, kann ich sie in Zukunft desto leichter planieren und eine bessere, die Eine Welt schaffen.“

Diese heile One World-Utopie ist aber nun wiederum tatsächlich eine bloße Konstruktion. Türcke erklärt überzeugend, daß die „zudringliche Übermacht“ und der „Eigensinn“ der Natur niemals beseitigt werden können. Der Mensch wehre sich gegen diese bittere Einsicht indes mit einem „traumatischen Wiederholungszwang“. Er bekämpfe das Schreckliche, das aus der Natur stammt, indem er selbst unaufhörlich Schreckliches tut.

Im Ernstfall gibt es keine Konstrukte

„Lassen wir uns unsere Alltagserfahrungen nicht ausreden, und stellen wir uns der Herrschaft der gutgemeinten Lügen entgegen. Lassen wir die Völker und ihre Eigenarten, lassen wir die Flüsse hochleben. Der Weg zum Ozean ist noch unabsehbar weit. Vive la différence!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert