Herrschaft der Halbgebildeten.

von Felix Menzel vom 23. Juli 2020.

Liegt es wirklich an der „dümmsten Politikergeneration zumindest der deutschen Nachkriegsgeschichte“, daß aus unserem Land der „Techniker und Ingenieure“ eine „von Genderbeauftragten und Politologen geprägte Bananenrepublik“ geworden ist, wie Michael Klonovsky gewohnt pointiert in seiner Chronik über das Jahr 2019 schreibt?

Und wenn ja, liegt es dann an uns, das Sprachregime dieser „Armada halbgebildeter sogenannter Experten für irgendwas, Journalisten und Karrierepolitiker“ (Thorsten Hinz in der JF) zu dekonstruieren, argumentative Schwächen aufzudecken und sie mit Witz, Häme, Ironie und Logik zu kontern?

Ich möchte das in Frage stellen, weil damit die Macht der Rhetorik unterschätzt wird. Ein Philosoph blamiert sich, wenn er etwas mit einem Zirkelschluss beweisen will. Für einen Politiker ist es jedoch vollkommen legitim, auf „dunkle Rhetorik“ (Wladislaw Jachtchenko) zu setzen, wenn sie wirkungsvoll ist.

Studien legen nahe, daß die allerwenigsten Menschen zwischen einem sinnvollen und einem sinnlosen Grund unterscheiden können. Will ich mich in der Bibliothek am Kopierer vordrängeln und gebe keinen Grund an, lassen mich einem Experiment zufolge 60 Prozent der Personen vor. Gebe ich an, ich habe es eilig (echter Grund), sind es 94 Prozent. Rechtfertige ich mein Verhalten hingegen damit, daß ich den Kopierer nutzen möchte, um Kopien anzufertigen (sinnloser Grund), sind es mit 93 Prozent fast genauso viele.

Ein charmantes Auftreten, Höflichkeit und Stil dürften also zur Durchsetzung eigener Interessen weitaus wichtiger sein als die Stimmigkeit der eigenen Argumente, wobei man es nicht mit den guten, alten Sitten versuchen sollte, sondern gefordert ist, sich über die Strategie des „Mirroring“ dem Gegenüber anzupassen, um dann ausgehend von der so gewonnenen Sympathie die eigenen Wünsche durchsetzen zu können.

Ja, das ist opportunistisch. Ja, das widerstrebt uns allen. Und ja, charakterlich sind gerade diejenigen, die intellektuell den sanften Totalitarismus des Liberalismus durchschaut haben, nicht dazu geeignet, selbstbewußt zu den Waffen zu greifen, die der Gegner verwendet. Genau das wäre aber wahrscheinlich notwendig.

Schon Aristoteles wußte, daß Rhetorik die Fähigkeit ist, „das Überzeugende, das jeder Sache innewohnt, zu erkennen“. Abgehoben die Überlegenheit der eigenen Argumente zu postulieren, bringt also wenig. Die Gegenseite mag im Unrecht sein. Ihre Überzeugungskraft muß das indes nicht schmälern. Das gilt es sportlich anzuerkennen.

Doch warum fällt uns das so schwer? Argumentative Stärke kann sich gerade in einer Mediengesellschaft als Nachteil erweisen.

+ Das Migrationsproblem haben etliche konservative Autoren, z.B. Rolf Peter SieferleVáclav Klaus und Lothar Fritze, durchdrungen. Wenn unsere Gegner die Empathie-Karte zücken, verlieren wir dennoch jede Debatte – zumindest bezogen auf die öffentliche Wahrnehmung in der Massendemokratie.

+ Ebenso verhält es sich beim Krieg der Geschlechter. Sobald unsere Gegner mit ihrem toleranten „Anything goes“ um die Ecke kommen, sind wir als ewiggestrige Traditionalisten in der Defensive.

+ Die Auseinandersetzung um den Klimawandel konfrontiert uns mit einem ähnlichen Dilemma: Wir haben zwar die Evolution auf unserer Seite, aber was hilft das gegen die Tränen einer unbekümmerten und unwissenden Jugend, die mit der Rettung der Welt wirbt?

Was ich damit sagen will: Statt über die perfekt inszenierte Hypermoral zu schimpfen, sollten wir die Macht der Rhetorik als eine unumstößliche Tatsache anerkennen und an unserer Selbstdarstellung feilen. Die Herrschaft der Halbgebildeten läßt sich leider nicht mit Wissen beenden. Sondern nur, wenn wir häufiger in die Trickkiste greifen.


Michael Klonovsky: Die neuesten Streiche der Schuldbürger. Redaktionäres vom Tage. Acta diurna 2019.

Im sechsten Band seiner Chronik Acta diurna vervollständigt Michael Klonovsky das Portrait jenes »Epöchleins des Schreckens«, das Deutschland an den Rand seiner Möglichkeiten brachte – mit besten Aussichten, schon bald darüber hinauszuschießen. Band eins begann passenderweise im Jahr 2012, als das Bundesverfassungsgericht das Asylrecht vermenschlichte und so den ersten, weltweit einzigen Vollversorgungsstaat schuf. Von hier aus spannte sich der Bogen zum Willkommensbacchanal der mittleren bis späten Zehnerjahre und zu den jüngeren Exzessen merkeldeutscher Irrwege, etwa der Erlaubnis zum Schuleschwänzen for Future. 

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