Sieferle und der „Klimanotstand“

von Felix Menzel vom 14. Mai 2019.

Wenn eine Stadt den „Klimanotstand“ ausruft, klingt das dramatisch und erweckt den Eindruck, jetzt rücke die Feuerwehr aus, um einen Großbrand in letzter Sekunde soweit einzudämmen, daß er nicht außer Kontrolle gerät. Politiker sind aber keine guten Feuerwehrleute. Im Gegenteil: Sie sind Profis darin, mit Worten zu zündeln.

Zum „Notstand“ sollte man deshalb wissen, daß es sich hierbei im juristischen Sinne um einen Rechtfertigungsgrund handelt, der es erlaubt, geltende Gesetze zu übergehen, um eine erhebliche Gefahr im Verzug abzuwenden. Dies im Hinterkopf, hätte die bundesdeutsche Presse in ihrer Funktion als vierte Gewalt den Oberbürgermeister von Konstanz, Ulrich Burchardt (CDU), nach der Ausrufung des „Klimanotstandes“ eigentlich fragen müssen, welche Gesetze er meint, zumindest temporär außer Kraft setzen zu dürfen.

Natürlich kam diese eine gewisse Vorbildung und Sprachsensibilität erfordernde Frage nicht. So blieb es Linken-Chefin Katja Kipping vorbehalten, die tiefere Bedeutung dieses symbolischen Akts zu entschlüsseln. Sie frohlockte ungeniert: „Wenn Konstanz den Klimanotstand erklärt, wird die Frage der Enteignung zur Frage des Gemeinwohls.“ Autokonzerne sollten daher ruhig „Angst“ bekommen.

Kipping machte damit – vermutlich unbewußt – deutlich, daß eine ernsthafte, d.h. über das Symbolische hinausgehende, Klimaschutzpolitik ausschließlich in der ökototalitären Extremvariante zu haben ist. Würde Konstanz an mehr als einer bundesweit erfolgreichen Inszenierung interessiert sein, müßte die Stadt am Bodensee von heute auf morgen zu 100 Prozent auf Tourismus verzichten, Autos verbieten und das bisherige schuldenbasierte Wirtschaften beenden.

Das hat Oberbürgermeister Burchardt natürlich nicht vor, obwohl er von einem „Masterplan“ zur CO2-Reduktion schwafelt. Vorsorglich redet er sich schon jetzt heraus, es sei falsch, die Wirkung der geplanten Maßnahmen messen zu wollen. „Denn wir wissen ja, worum es geht“, so der CDU-Politiker, der zugleich Mittglied ist bei den linken Globalisierungskritikern von Attac.

Was das ist, „worum es geht“, erklärt er auch. Burchardt will neue Schulden aufnehmen. Klimaschutz koste schließlich viel Geld „und da wir kein Geld übrig haben, müssen wir Verteilungsdiskussionen führen“, betont er. Nebenbei bemerkt: Auch hier widerspricht er sich selbst. Wenn es ihm nur um eine andere Verteilung städtischer Mittel ginge, entstünden keine zusätzlichen Kosten, die der Steuerzahler zu tragen hat, den man anscheinend für so dumm hält, daß er das Portemonnaie bereitwillig öffnet, wenn ein „Klimanotstand“ als Grund genannt wird.

Trotz all dieser Ungereimtheiten und Unverschämtheiten gelingt es den Klimabesorgten äußerst gut, die Umweltfrage vollständig zu okkupieren und daraus politisches Kapital zu schlagen. Es kommt ihnen dabei entgegen, daß neben der hysterischen Klimareligion kein ökologisches Alternativangebot öffentlich vorliegt. Dabei hat genau dies der Historiker Rolf Peter Sieferle in seinem Epochenwechsel längst ausbuchstabiert.

Er bezeichnet darin die Vorstellung, der Mensch sei verantwortlich für Umweltprobleme, als „naiv“. Dies korrespondiert mit der Verherrlichung des Naturzustandes, den Linke seit Jean-Jacques Rousseau wiederherstellen wollen, weil sie ihn als Paradies auf Erden verklären. Sieferle hält dagegen:

„Die ,Natur‘ als solche ist, wie wir seit langem wissen, alles andere als stabil, konstant und gleichgewichtig, auch wenn innerhalb der evolutionsgeschichtlich kurzen Zeiträume, in denen Menschen sie beobachten konnten, immer wieder der gegenteilige Eindruck entstand. Aus der Perspektive der Natur gibt es daher keine ‚Naturzerstörung‘.“

Zunächst einmal müssen daher in jeder Klimadiskussion einige Fakten über die Wandelbarkeit der Natur referiert werden: So waren laut heutigem Kenntnisstand zu 80 bis 90 Prozent der Erdgeschichte eisfreie Polkappen anzutreffen. Vor 500 Millionen Jahren soll zudem die CO2-Konzentration zehnmal so hoch gelegen haben wie gegenwärtig. Ein Anstieg dürfte sich auch schwer mit menschlicher Zurückhaltung verhindern lassen, da ungefähr 93 Prozent der Emissionen auf natürliche Quellen zurückzuführen sind.

Das befreit zwar noch lange nicht von Verantwortung, zeigt aber, wie unsinnig es ist, eine direkte Beeinflussung des Klimas für möglich zu halten. Sieferle spricht folgerichtig von einem „fundamentalen Dilemma“, weil die Natur „keineswegs vollständig beherrscht“ werden könne. Jedoch sei der „Zugriff auf Naturzusammenhänge mit unkontrollierten und vermutlich unkontrollierbaren Folgen verbunden“.

Als Hauptursachen dieser Bedrohung, deren Tragweite sich nicht sinnvoll einschätzen lasse, bezeichnet Sieferle das „expansive Industriesystem der Moderne“ und das Bevölkerungswachstum der Menschheit, die im 20. Jahrhundert „zur größten globalen Monokultur“ geworden sei. Im Kampf gegen diesen doppelten Wachstumszwang erfüllten Verhaltensänderungen der Individuen nur „eine ähnliche Funktion wie das Gebet“. Sie bleiben eine Sisyphus-Anstrengung.

Welche Hebel sind aber dann zu bestätigen? Das Fundament des kritisierten Industriesystems sind Schulden. Weltweit betragen sie mittlerweile 244 Billionen Dollar und damit 318 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Klimareligion ist dabei nur ein Vorwand, um den Ausgabenexzeß fortführen zu können.

Darüber hinaus kann die „Umweltkrise“ Sieferle zufolge nur in Verbindung mit dem „Übervölkerungsproblem“ verstanden werden. Hier gibt er zu bedenken:

„Angenommen, eine Weltdemographiebehörde der Vereinten Nationen hätte ermittelt, daß die absolute Tragekapazität der Erde für menschliche Wesen bei einer Schwelle von acht Milliarden liegt. Kann es dann der freien Entscheidung des einzelnen überlassen bleiben, wie er sein Vermehrungsverhalten einrichtet?“

Wer also tatsächlich glaubt, eine „Störschwelle“ menschlicher Aktivität mathematisch korrekt bestimmen zu können, müßte konsequenterweise im schlimmsten Fall einen Massenmord durchführen, um die Umwelt zu retten. Der Thriller Inferno, der 2016 in den Kinos lief, hat dieses Szenario veranschaulicht. Der Aufhänger des Films ist, daß ein Milliardär der Meinung ist, nur eine Halbierung der Weltbevölkerung könne eine noch größere Katastrophe verhindern.

Sicherlich dürfte der Ökototalitarismus des 21. Jahrhunderts auf weniger radikale Ideen kommen. Dennoch sollten wir begreifen, welcher ausschlaggebende Denkfehler bei ihm vorliegt: Es ist die Illusion der Berechenbarkeit und beliebigen Manipulierbarkeit der Welt. Wohl bei all seinen Forschungsprojekten unternahm Sieferle den Versuch, dem ein fundiertes, evolutionshistorisches Wissen entgegenzusetzen.


Rolf Peter Sieferle: Epochenwechsel

1994 legte Sieferle diesen Großessay zum »Schlachfeld der Geschichte« vor, in dessen Zentrum das gegenüber dem universalistischen Projekt des »Westens« widerständige Deutschland mit seinem Willen zum eigenen Weg steht. Die beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert waren Vorboten einer Auseinandersetzung zwischen universalistischen Perspektiven und deren partikularistischer Abwehr. Er zeigt, wie die beschleunigte Moderne in ihrer seit hundert Jahren anhaltenden, ständigen »Flucht nach vorne« wachsende Problemberge vor sich herschiebt, zu deren gedanklicher Bewältigung die alten Ideologien des Liberalismus, des Sozialismus und des Nationalismus immer wieder in neue Kleider schlüpfen und in neuen Paradoxien sich verheddern.

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