Vom Büchermensch zum Mörder

von Felix Menzel vom 26. März 2020.

Der Dresdner Autor Ingo Schulze, der die Literaturpreise des Landes einsammelt wie andere die Pfifferlinge, hat zuletzt einen vielbeachteten Roman über „Die rechtschaffenen Mörder“ geschrieben. Der S. Fischer-Verlag kündigte das Werk damit an, daß es zeige, wie „ein aufrechter Büchermensch zum Reaktionär – oder zum Revoluzzer?“ werde.

Wer jedoch erwartet, von Seite eins an belehrt zu werden, täuscht sich. Schulze führt seine Leser in die Falle, wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung richtig beobachtet hat. Die Leser sollen sich mit dem Bücherliebhaber und Antiquar Norbert Paulini identifizieren, ja mehr noch: Sie sollen ihn für seine allumfassende klassische Bildung bewundern, bevor das böse Erwachen folgt.

Im Gegensatz zu Johannes Schönbach aus Michael Klonovskys Land der Wunder, ertränkte Paulini seinen Frust über die Zustände der DDR nicht in Alkohol. Vielmehr ging er konsequent in die „Innere Emigration“ und nutzte den real existierenden Sozialismus als Refugium für eine intellektuelle Betätigung, die in einer freien Wirtschaft auf verlorenem Posten steht.

Nach der Wende wird Paulini das zum Verhängnis. Mangels Kundschaft muß er sein Antiquariat schließen. Ingo Schulze erzählt von nun an die Geschichte einer Radikalisierung, die scheinbar ganz harmlos beginnt. Paulini beschwert sich darüber, daß „letztlich dieselben oben geblieben“ seien, „die schon früher oben gewesen waren“. Über die Künstler-Schickeria sagt er, sie würde sich fürchterlich links gebärden.

Sich selbst sieht er dagegen unverändert als einsamen Dissidenten: Er habe früher der DDR bewußt die „kalte Schulter“ gezeigt, insistiert Paulini. Im Westen hätte er allerdings schnell eine ähnliche Unterdrückung der Meinungsfreiheit feststellen müssen. Der angeblich freieste Staat auf Erden bestrafe ebenfalls „Eigensinn und Unabhängigkeit“. Der einzige Unterschied: Dies geschehe „mit anderen Mitteln“, die womöglich subtiler sind.

Schulze legt hier wenig Kreativität an den Tag. Er skizziert lediglich, wie sich das Dresdner Bildungsbürgertum immer weiter dem aus seiner Sicht fremdenfeindlichen Pegida-Mob annähert. Pegida hat dann im Roman auch tatsächlich noch einen Gastauftritt, damit ja niemand denkt, es handle sich um eine fiktive Geschichte ohne Realitätsbezug. Mit fortschreitender Dauer des Romans mutiert Schulze also vom souveränen Erzähler zum Haltungsjournalisten, der mitteilen muß, wohin die Liebe zur eigenen Kultur führen kann – nämlich „zum Herrschaftswahn, zur Überhebung, zum Blick von oben herab“.

Angesprochen fühlen sollen sich hier anscheinend Personen wie Uwe Tellkamp und Susanne Dagen, meinen mehrere Medien übereinstimmend. Genauso wie Norbert Paulini hätten sie sich in einen „kontextlosen Äthetizismus“ (FAS) hineingesteigert, bei dem die Gefahr bestehe, daß aus blumigen Worten über die „wohltemperierte Grausamkeit“ (Björn Höcke) irgendwann reale Taten werden. Einfacher ausgedrückt, lautet der Vorwurf: Vom rechten Elfenbeinturm bis nach Hanau ist es ein sehr kurzer Weg.

Ist die wolkige Umschreibung dieser These nun an irgendeiner Stelle originell? Das kann sich jeder selbst beantworten. Vielleicht ist die Konfrontation der Leser mit den angeblichen Abgründen des Lesens aber auch ein Bumerang. Denn welcher Leser dürfte sich davon überzeugen lassen, daß die wohl defensivste Kulturtechnik der Welt der Verrohung Vorschub leistet?

(Bildhintergrund: Ingo Schulze, von: Udoweier, Wikipedia, CC BY-SA 4.0)


Ingo Schulze: Die rechtschaffenen Mörder

Der Dresdner Autor Ingo Schulze, der die Literaturpreise des Landes einsammelt wie andere die Pfifferlinge, hat zuletzt einen vielbeachteten Roman über „Die rechtschaffenen Mörder“ geschrieben. Der S. Fischer-Verlag kündigte das Werk damit an, daß es zeige, wie „ein aufrechter Büchermensch zum Reaktionär – oder zum Revoluzzer?“ werde.

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