Die Mächte der Finsternis

von David Engel vom 1. April 2020.

Wir alle kennen das berühmte Diktum Baudelaires, demzufolge es eine der größten Tücken des Teufels sei, uns nicht an seine Existenz glauben zu lassen. Und wie auch immer man zu religionsdogmatischen Fragen stehen mag: In einer Welt, in der es nichts metaphysisch Böses oder Falsches mehr gibt, sondern bestenfalls nur noch Gutes und „weniger Gutes“ bzw. eine jeglicher transzendenten Perspektive beraubte, rein utilitaristisch begründete Alltagsmoralität, bestehen auch keine wirklichen und allgemeingültigen Wertmaßstäbe zur Beurteilung der eigenen Handlungen wie auch derjenigen der Mitmenschen.

Die Folgen sind unabsehbar: Das Zusammenleben der Menschen versinkt in einen völligen Subjektivismus, wo es nur noch um „gefühlte“ Wahrheit geht und der andere bereits im Fehler ist, wenn jemand sich durch sein Verhalten „verletzt“ fühlt, und das ohne jegliche Berücksichtigung der Frage, inwieweit Handlung (und Gefühl) auch tatsächlich berechtigt waren. Paradoxerweise – oder vielleicht sogar gezwungenermaßen – hat sich nun aber auch gleichzeitig, teils infolge des statistischen Mittelwerts jener orientierungs- und werte-losen subjektiven Empfindungen, teils infolge einer bewußten Steuerung der verschiedenen Machtapparate durch Dritte, eine öffentliche Meinung herausgebildet, die nunmehr an die Stelle der bisherigen transzendenten Verankerung von Wahr und Falsch bzw. Gut und Böse getreten ist und souverän im Einzelfall über jene Kriterien urteilt. Und so mögen zwar der Teufel und mit ihm letztlich auch Gott aus unserer Welt geschwunden sein, aber nur, um an ihre Stelle die Gegensätze zwischen einem angeblich reaktionären Konservatismus auf der einen und der sogenannten politischen Korrektheit auf der anderen gesetzt zu sehen…

Diese Tendenz macht auch vor der katholischen Kirche nicht halt, und hier setzt denn auch die Argumentation des Interviewbuches Die Mächte der Finsternis ein, in welchem der bekannte Filmemacher und Publizist Ingo Langner mit Pater Franz Schmidberger, elf Jahre Generaloberer der Piusbrüderschaft, diskutiert (übrigens schon der zweite Band dieser Gespräche; der erste erschien unter dem Titel „Gott, Kirche, Welt und des Teufels Anteil“ im Jahre 2017) und in höchst anspruchsvoller, gleichzeitig aber immer auch anschaulich und flott geschriebener Weise die großen Frage unserer Zeit behandelt.t.

Das Buch deckt ein breites Spannungsfeld ab, zumal die diskursive Natur des sehr naturalistisch wiedergegebenen Gesprächs natürlich auch zu zahlreichen Abschweifungen und Randanmerkungen einlädt, und es ist unmöglich, auch nur ansatzweise den vielen Themen und der Höhe der Argumentation im Rahmen dieser kurzen Besprechung gerecht zu werden. Trotzdem läßt sich der Kern des Gesprächs so zusammenfassen, daß die christliche Kirche seit ihrer Gründung einer gewissen Zahl von Anfechtungen ausgesetzt war, welche sich bereits in den frühchristlichen Häresien äußerten und sich allesamt trotz oberflächlich sicherlich wohlgemeinter Intention und vielleicht sogar „vernünftiger“ Absicht früher oder später ad absurdum geführt bzw. das genuin Christliche in einer solchen Weise verzerrt haben, daß in letzter Konsequenz erhebliche Abweichungen zu den im Alten wie Neuen Testament gesetzten Grundlinien auftreten mußten – und das mit nicht nur rein „abstrakten“ dogmatischen, sondern auch gravierenden moralischen Konsequenzen. Gerade heute, wo der Modernismus seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die gesamte katholische Kirche verändert und seit dem Pontifikat des Medienlieblings und „UNO-Papstes“ Franziskus einen neuen, ungeahnten Anschub erfahren habe, sei es daher wichtiger denn je, sich der Tatsache bewußt zu sein, daß der Bruch mit den Traditionen und Werten unserer Vergangenheit früher oder später desaströse Folgen zeitigen müsse und im Rückblick oftmals keinesfalls als bloßer wertfreier „Fehler“ oder „Betriebsunfall“ zu sehen sei, sondern vielmehr als eine metaphysisch in der einen oder anderen Weise vom „Bösen“ inspirierte Tat.

Das Buch zeigt dabei den inneren Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Werteverlust der westlichen Gesellschaft und den inneren wie äußeren Anfechtungen, denen die katholische Kirche seit langem ausgesetzt ist, welche sie aber nunmehr zumindest in Europa in die schwerste Existenzkrise seit den Christenverfolgungen gebracht haben. Die Autoren plädieren hier stark dafür, Roß und Reiter klar beim Namen zu nennen und nicht nur auf die personelle Verantwortung, sondern eben auch die metaphysische Dimension der gegenwärtigen Selbstverleugnung eines Christentums hinzuweisen, das sich ganz innerweltlichen Modethemen wie Klimarettung, Massenimmigration oder Kampf gegen Recht zu verschreiben scheint und zunehmend als Legitimationsinstanz linksgrüner politischer Korrektheit auftritt, Gott, Christus, Glauben, Jenseits, Kirche und eben auch das Böse und die Sünde aber als anachronistische Konzepte dezent beiseite läßt oder als Indizien für ein sogenanntes „rechtes Christentum“ wertet – ohne dafür doch den erhofften Lohn zu erhalten, denn wenn die Gelder aus Kirchensteuer und staatlichen Zuwendungen auch weiterhin reichlich fließen, sind die Kirchen und Priesterseminare so leer wie nie zuvor, und die gesamte gewaltige Institution steht kurz vor der Implosion, während jene scheinbar „abtrünnigen“ Organisationen wie etwa die Piusbrüderschaft sich einer immer steigenden Beliebtheit erfreuen und vielleicht die Keimzelle einer inneren Genesung der Kirche darstellen können.

Abschließend darf man wohl in Abwandlung der berühmten Wette von Pascal formulieren, daß auch, wenn der Teufel nicht existieren sollte, es sich doch besser lebt, wenn man sich so verhält, als gäbe es ihn tatsächlich, denn es ist sicher ebenso wichtig, das Böse klar in seiner gesamten metaphysischen Dimension zu erkennen, um sich von ihm fernzuhalten, als darauf zu spekulieren, daß das Gegenteil des Guten lediglich ein „weniger“ gutes oder bestenfalls neutrales Etwas sei. Mit der Erkenntnis dieser Kategorien ist der Mensch aber keinesfalls alleine gelassen, und sie sind eben als absolute Größen auch nicht von der jeweiligen Beschaffenheit des Individuums abhängig: Es reicht der Blick in die historischen Grundlagen unserer Zivilisation wie auch unseres Glaubens, um alle nötigen Hilfestellungen zu finden, den Kampf aufzunehmen, denn ebensowenig, wie der heutige Mensch sich fundamental von jenem unterschiedet, der vor 2000 Jahren lebte, haben sich die Kategorien von Gut und Böse verändert. Dies einmal mehr ebenso klar wie anschaulich auf hohem argumentatorischen Niveau herausgearbeitet zu haben, ist eines der großen Verdienste von Ingo Langner und Franz Schmidberger.


Ingo Langer: Die Mächte der Finsternis

In dieser rein weltlichen Ideologie existiert das Böse nicht. Im Gespräch mit Pater Franz Schmidberger von Priesterbruderschaft St. Pius X. geht Ingo Langner der Frage nach, welchen Anteil die Mächte der Finsternis im Abwehrkampf der Kirche Christi gegen Häresien aller Art haben.

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