Nicht erneut spalten lassen

Redaktioneller Beitrag vom 20. März 2020.

„Samstag ist der entscheidende Tag“, verkündet heute das Kanzleramt via Leitmedien, „da werden wir uns das Verhalten der Bevölkerung anschauen“. Will heißen, da wird der öffentliche Raum nach all jenen durchforstet, die sich trotz Corona-Gefahr noch wagen darin aufzuhalten, den Raum auch nur durchstreifen, anstatt fügsam in den eigenen vier Wänden zu hocken und Luft und Bewegung zu fliehen. Das Miteinander mit anderen sowieso. Denn seit auch Merkel zur kollektiven Kontaktvermeidung aufgerufen hat, sollen wir es praktisch als Bürgerpflicht verstehen, von unseren im Wortsinn Nächsten wegzubleiben.

Es fragt sich, wie dieses „Anschauen“ vonstatten gehen soll. Wird die Polizei, womöglich im Verbund mit Bundeswehr und privaten Sicherheitsdiensten, öffentliche Plätze, Straßen, Parks, Brachen und Parkplätze, aber auch Strände, Berge, Felder, Wald und Wiesen observieren und Strichlisten führen? Oder werden die Volksbeobachter, als unsichtbarere Big Brothers, vielmehr gerade KEINE Präsenz zeigen, dadurch aber noch oppressiver auf das Schuldempfinden der etwaigen Freigänger wirken? Denn letztlich darf jeder, der morgen vor die Tür geht, sich die messerscharfe Frage stellen, ob nicht ER es sein wird, der das Faß zum Überlaufen bringt und die angedrohte Ausgangssperre de facto verursacht – für das ganze Land! Über Wochen und Monate! Ein ordentlicher Preis für eine Lustwandelung.

Und natürlich setzt der renitente Rausgeher, der da mit der Bewegungsfreiheit seines ganzen Volkes spielt, sich auch dem Argwohn und den Blicken seiner Nachbarn aus. Die paranoide Aussicht, daß genau ER an dem „Lockdown“ schuldig werden könnte, erfaßt ihn nicht nur selbst, von Innen her, sondern auch seine privaten Anrainer. Später einmal, darf er jetzt schon wissen, wird Frau Schultze ihm den Marsch blasen: „Das waren damals SIE, den ich vorm Fenster gesehen habe! Ohne SIE hätten wir alle niemals Hausarrest bekommen!“

Wer mag sich da nicht schon im Vorhinein wie Herr K. fühlen, dem der Proceß gemacht wird?

Meine alte Chemie-Lehrerin sagte uns damals, um die gegenseitige Abstoßung zweier Elemente zu versinnbildlichen: „Die sind wie die Deutschen. Wann immer ihr Deutsche im Ausland in einem Lokal seht, erkennt ihr sie daran, daß sie sich immer an unbesetzte Tische hocken. Nie an solche, wo schon andere Gäste sind.“ Da mag etwas dran sein, worüber sich nicht zuletzt das Nachdenken lohnt. Vor einem solchen mentalen Hintergrund ist es jedenfalls umso ungesunder, wenn in unserem Volk der Argwohn gegenüber dem Nächsten gestreut wird. Die zum Gebot erhobene Kontaktvermeidung ist, jedenfalls im Grundsätzlichen, das Letzte, was wir gebrauchen können. Allein schon wegen der desaströsen Spaltung, unter der wir seit spätestens 2015 leiden.

Schauen wir also mal, was morgen wird und wer alles rausgeht oder nicht. Und erinnern wir uns nicht zuletzt der diversen Grippen, die wir alle schon überlebt haben.

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