Tanzpalastrede

von Andreas Lombard vom 18. Januar 2017.

Leider beschäftigen sich die großen Medien fast nur noch mit der Frage, was zu sagen verboten sei, statt uns zu sagen, was zu sagen geboten wäre. Geboten, so scheint es, ist nur noch das Verbieten. Ansonsten ist es verdächtig still. Diese Stille haben einige Dresdner nicht länger ertragen und (»gefühlt«) mehr applaudiert als Björn Höcke gesprochen hat. Über die »verantwortungslose Politik gegen das eigene Volk« und darüber, dass es »keine moralische Pflicht zur Selbstauflösung« gebe. Gegen Ende seines gestrigen Auftritts forderte Höcke eine »erinnerungspolitische Wende von 180 Grad«. Der Tag danach war wie immer: voll großer Empörung.

Eine Schande sei es gewesen, dass Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal eine Schande genannt, heißt es. (Hat er nicht, aber jede Gelegenheit ist günstig, darauf hinzuweisen, dass es eine Schande nicht heißen darf.) Höcke hat gesagt: »Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat«. Ein Lob der Häme-Nautik! »Denkmal der Schande« bedeutet nicht zuerst »schändliches Denkmal«, sondern Pi mal Daumen »Denkmal zum Gedenken an eine Schande«. Höcke hat gemeint, aber nicht gesagt, was noch 1998 wie folgt in einem deutschen Langzeitperiodikum stand: »Nun soll in der Mitte der wiedergewonnenen Hauptstadt Berlin ein Mahnmal an unsere fortwährende Schande erinnern. Anderen Nationen wäre ein solcher Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd. Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität.«

Lange nachdem die Idee eines einzigartig bösen deutschen Volkes grundsteinlegend für das Holocaust-Mahnmal wurde, droht sie das sich neu formierende Deutschland tatsächlich existentiell zu lähmen. Trotzdem und auch schneller als der Urheber jenes Zitats es erleben durfte, wurde es bald auffallend still um das 2005 eingeweihte Mahnmal. Das ist eine große Chance, die nicht von ungefähr kommt. In Anbetracht der Lage, also ihres gemeinsamen Bedrohtseins, könnten und müssten Deutsche und Juden, anders gesagt, Christen und Juden, gemeinsam über die Schatten der Vergangenheit springen. Für die Berliner und ihr Grabsteinfeld hieße das Gebot der Stunde: »Immer daran vorbeifahren, aber niemals darüber reden« ‒ ein altbewährtes Rezept. So könnte sich die Monstrosität auf leisen Sohlen verabschieden, würde nicht ausgerechnet Björn Höcke mit seiner Tanzpalastrede in die hoffnungsvolle Stille platzen. Retten kann uns, wenn es wirklich gefährlich wird, nicht das Heilige Römische Reich deutscher Nation, sondern viel eher der eine oder andere heiße Tipp aus dem großen Erfahrungsschatz Israels und dem Überlebenskampf des jüdischen Volkes. – Die Worte von 1998 schrieb übrigens Rudolf Augstein im Spiegel.


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