Die Negativmoral:

Vom 22. Dezember 2016.

Es lag seit Jahrzehnten in der Luft und mußte einmal thesenförmig werden: Die Erkenntnis, daß, wer jemandem (z.B. seinen Kindern) Gutes tue, viele andere benachteilige, weil ihnen dieses Gute eben nicht getan werde. Deshalb sollte er es gleich ganz lassen. Dies läßt sich als Grundsatz aus den schweren Bedenken ablesen, die der britische Soziologe Adam Swift gegenüber dem elterlichen Ritual der Gute-Nacht-Geschichte hegt: Wer seinen Kindern abends vorlese, sollte sich vor Augen halten, daß er viele andere Kinder dadurch benachteilige, weil ihnen eben nicht vorgelesen werde.

Der Grundsatz ist erweiterbar: Wer seine Frau nicht prügelt, benachteiligt alle Frauen, die regelmäßig Prügel kriegen; wer fleißig Unkraut jätet, benachteiligt alle Gärtner, denen das Unkraut die Früchte mordet; und wer täglich vor der eigenen Türe kehrt, benachteiligt alle, die keine Türen, keine Besen oder keine Lust aufs Kehren haben.

Jede Moral hat einen Ort und der ist markiert durch den eigenen Wirkungskreis, der identisch ist mit dem Bereich eigener Verantwortung: Hier, sagt die »alte, überlebte Moral«, tue dein Bestes und verantworte es auch. Während der Wirkungskreis des Einzelnen immer kleiner wird, wird ihr Verantwortungskreis von Globalmoral-Predigern immer weiter aufgeblasen, dabei aber unvermeidlich verdünnt bis zur Luftleere. Hier kann niemand mehr etwas tun, außer sich in Schuldbewußtsein suhlen. Das Thema ist schon vor 30 Jahren abschließend in einem Buch behandelt worden, das mit jedem Jahr wichtiger wird und dem Status eines philosophischen Klassikers der Spätmoderne immer näher kommt:

→ Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral …


Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert