Berlin-Moskau: Achse der Vernunft

Vom 22. Juli 2016.

Unser Autor Thomas Fasbender über eine komplizierte Beziehung:

Das deutsch-russische Verhältnis, die Achse Berlin-Moskau, gehört seit alters her zu den besonders ausgeprägten, profilierten Nachbarschaften auf dem europäischen Kontinent. Und das im Guten wie im Bösen; kulturell, wie politisch und wirtschaftlich. Es mag ursprünglich damit zu tun haben, dass es Deutsche waren, die im Mittelalter, als die „Franken“ Palästina eroberten, östlich der Elbe bis hoch hinauf im Baltikum die Slawenmission betrieben. Auch mag es an der Mentalität beider Völker liegen. Wir Deutsche sind, und wenn wir es auch noch so gerne wären, keine westliche Nation im eigentlichen Sinn. Die Russen sind es erst recht nicht. Zwar haben später auch Holländer, Schweden und Engländer zu den Moskowitern enge Bande geknüpft, doch aus russischer Sicht gilt uns Deutschen bis heute, den Kriegen zum Trotz, besondere Sympathie.

Mit der hierzulande propagierten Weltanschauung, wonach Begriffe wie Nation und politische Mentalität »im 21. Jahrhundert« nicht mehr gelten und wir alle »Europäer« sind, können die Russen nichts anfangen. Aus dortiger Sicht sind ein Deutscher und ein Italiener zwei so distinkte Wesen wie ein Chinese und ein Inder.

Glücklicherweise sehen vor allem jene Deutsche das ähnlich, die geschäftlich im Ausland unterwegs sind. Die Nationalität des Gegenübers am Verhandlungstisch macht nämlich durchaus einen Unterschied. Was Russland betrifft, so weiß die deutsche Wirtschaft seit eh und je, dass ihre Produkte dort begehrt sind und man mit Russen erfolgreich Geschäfte machen kann. Von dem einen oder anderen Schlitzohr abgesehen sind es verlässliche Partner – solange man ein paar beherrschbare Regeln befolgt. Es zählt dabei nicht nur Zuverlässigkeit. Der Verhandlungsstil, die Verfahrensweise, Fragen der Kommunikation – im geschäftlichen Alltag haben deutsche Unternehmer mit russischen Partnern häufig weniger Probleme als mit Amerikanern oder Asiaten.

Entsprechend lang reichen auch die Handelsbeziehungen in die Geschichte zurück. Das 19. Jahrhundert brachte neben der Blütezeit der preußisch-russischen politischen Beziehungen einen regelrechten Investitionsboom deutscher Unternehmer. Werner von Siemens, der 1853 seinen Bruder Carl zum Aufbau der russischen Siemens-Filiale nach St. Petersburg schickte, steht symbolisch für die Rolle deutscher Entrepreneure während der russischen Gründerjahrzehnte. Zuweilen war die russische Siemens nach Umsatz und Mitarbeitern größer als das Mutterhaus.

Mit Kriegsbeginn 1914 war die gute Zeit zu Ende. Deutsche mussten das Land verlassen oder wurden interniert; nach 1917 raubten die Bolschewiken ihnen ihr Eigentum. Doch schon 1922, nach Revolutionen in beiden Ländern, begründeten die neu erstandenen Staaten Sowjetunion und Weimarer Republik mit dem Vertrag von Rapallo eine neuerliche Phase der Zusammenarbeit.

Nach den katastrophalen Folgen des Zweiten Weltkriegs hat das deutsch-russische Verhältnis der Existenz der DDR im halben Nachkriegsjahrhundert mehr zu verdanken als gemeinhin anerkannt wird. Der sozialistische Bruderzwang hat jedenfalls verhindert, dass sich die tiefen gegenseitigen Verwundungen in einer dauerhaften Entfremdung manifestierten. In ihrem Windschatten konnte sich auch die bundesdeutsche Ostpolitik entwickeln, deren Wurzeln in den fünfziger Jahren wieder aufgenommenen Wirtschaftskontakte lagen.

Thomas Fasbender: Freiheit statt Demokratie.

In dreizehn abwechslungsreichen Kapiteln und vielen eindrucksvoll verdichteten Szenen erzählt Fasbender vom Alltag in Russland und von seiner dramatischen Geschichte. Er beschwört die Urtümlichkeit des riesigen Landes zwischen Ostsee und Pazifik, zwischen Arktis und Kaukasus, und er vermittelt intime Einblicke in die schicksalsgeprüfte Mentalität seiner Bewohner.

Die derzeitige Entfremdung zwischen Deutschland und Russland, die seit 2003/2004 zu beobachten ist und 2014 in eine kontinentale Krise mündete, verdankt sich vielschichtigen Faktoren. Auf deutscher Seite spielen das Selbstverständnis der Post-Achtundsechziger-Eliten in Kombination mit dem neokonservativen »Ende der Geschichte« nach 1989 eine wesentliche Rolle. Auf russischer Seite ist es das wiedererstarkte Bewusstsein vom Recht auf einen eigenen Weg. Bezeichnend ist, wie ideologisch aggressiv und fordernd die öffentliche Diskussion in Deutschland geführt wird und wie deutlich auch wieder russophobe Stereotype mitschwingen. Derweil demonstriert die russische Propaganda eine widerspenstige, zähe Abwehrhaltung dem Westen insgesamt gegenüber, wobei deutschenfeindliche Töne bislang jedenfalls keine Rolle spielen.

Die Wirtschaft, die keine Probleme mit der Tatsache hat, dass Russland gesellschaftlich und innenpolitisch seinen eigenen Weg sucht und geht, wurde von der Krise kalt erwischt. Die Zahl der in Russland vertretenen deutschen Firmen, die bis 2014 auf über 6.600 angestiegen war, hat sich seither um rund 1.000 vermindert. Nach Angaben der russischen Migrationsbehörde waren von den 350.000 Deutschen, die Anfang 2014 im Lande lebten, Ende 2015 nur noch 112.000 übrig. Doch auch damit stellen die Deutschen – sieht man von den ehemaligen Sowjetrepubliken ab – immer noch die größte Zahl an ausländischen Expatriates.

Wie es weitergeht? Ihren öffentlichen Kotau vor dem „Primat der Politik“ der Bundeskanzlerin im Frühjahr 2014 haben die führenden Wirtschaftsvertreter schnell bereut. Spätestens seit Herbst 2015, seit offenkundig ist, dass die Schuld am ausbleibenden Frieden in der Ostukraine in Kiew mindestens so zu suchen ist wie in Moskau, zeigt die Wirtschaft wieder größeres Engagement. 2014 lagen die deutschen Direktinvestitionen im negativen Bereich, 2015 schon wieder bei 1,78 Mrd Euro und im ersten Quartal 2016 bereits bei 1,1 Mrd Euro. Vorstände und Geschäftsführer aus Deutschland geben sich in Russland die Klinke in die Hand. Nur erfahren die Medien nichts mehr davon, oder allenfalls am Rand von Großveranstaltungen wie dem St. Petersburger Wirtschaftsforum im Juni. Dennoch es ist beruhigend zu sehen, daß hinter dem Vorhang treudeutscher Symbolpolitik hiesige Unternehmen ihrer wirtschaftlichen Vernunft folgen und sich nicht mehr zu Geiseln der offiziellen Verlautbarungen machen.

Thomas Fasbender, geboren 1957, aufgewachsen in Hamburg, lebt seit 1992 in Moskau. Als Augenzeuge hat er dort die wilden neunziger Jahre erlebt, dann die russische Wiederauferstehung unter Präsident Putin, gefolgt von den Jahren des neuen Konflikts mit dem Westen. Der promovierte Philosoph ist Journalist, Unternehmer und Blogger. Vor allem aber ist er ein Russland-Erklärer, der sein Handwerk beherrscht. 2014 erschien von ihm im Manuscriptum Verlag das Buch Freiheit statt Demokratie. Russland und die Illusionen des Westens

Beitragsbild: © Manuscriptum Verlagsbuchhandlung

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