Feststellungen zu Höcke

von Felix Menzel vom 31. Oktober 2019.

Nach der Landtagswahl in Thüringen sollten wir uns einige Gedanken über die politische Kultur in Deutschland machen. Denn das, was im Vorfeld der Wahl und nun auch in der Nachberichterstattung an Dreck in Richtung einer bestimmten Person flog, sprengt den Rahmen des Erträglichen.

Die Grenzen des Zumutbaren sind dabei nicht nur in Bezug auf AfD-Landeschef Björn Höcke überschritten. Vielmehr muß die erfolgte Art der „Auseinandersetzung“ jedes vernunftbegabte Wesen als eine persönliche Beleidigung betrachten. Die Presse darf ihre Abneigung gegenüber Höcke natürlich zum Ausdruck bringen, aber wenn das nur noch mit dem Vorschlaghammer und vulgären Beschimpfungen geschieht, so wird damit dem Leser die Mündigkeit abgesprochen.

Selbst ein advokativer Journalismus hat sich an ein Mindestmaß an Fakten zu halten. Wer anklagen will, braucht stichhaltige Gründe. Um die geht es jedoch längst nicht mehr. Daher müssen zunächst einige Feststellungen getroffen werden, an denen niemand vorbeikommt, der auf Basis der Realität über Höcke sprechen und urteilen möchte.

Björn Höcke ist AfD-Landeschef in Thüringen und Fraktionsvorsitzender im Landtag. Es handelt sich dabei um das zwölfgrößte oder besser fünftkleinste Bundesland. Zur Verdeutlichung: In Nordrhein-Westfalen leben mehr als achtmal so viele Menschen. Es ist somit unangebracht, Höcke als den zentralen Politiker der AfD hinzustellen. Das geschieht ausschließlich in denunziatorischer Absicht, um über ihn auch andere Protagonisten und Mitglieder zu beschädigen.

Seine führende Rolle beim „Flügel“ sollte ebenso nüchtern eingeordnet werden. Kennt eigentlich jemand die Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD und ist der Meinung, sie würden insgeheim die Agenda der Partei bestimmen? Hinzu kommt, daß der Flügel im Bundesvorstand der AfD eher unter- als überrepräsentiert ist. Gleiches gilt für die Neuen Bundesländer.

Die Berichterstattung über Björn Höcke ist leider in weiten Teilen tatsächlich „Medienhetze“. Wenn die ZEIT titelt „Höcke will den Bürgerkrieg“, ohne belegen zu können, daß er bereits heimlich Waffen sammelt, ist diese Bezeichnung angemessen. Erinnert sei außerdem an dieses unsägliche ZDF-Interview, in dem es nicht um die Thüringer Landespolitik ging, sondern ein „Mein Kampf“-Ratespiel veranstaltet wurde. Doch selbst das läßt sich toppen. Gelungen ist das der taz, die indirekt zur Gewalt gegen AfD-Wähler aufrief. Ihre Logik: Höcke ist „Faschist“, also sind alle AfD-Wähler ebenfalls mit diesem „Label“ zu belegen. Und wie wird man mit ihnen fertig? Historisch betrachtet ist die Antwort eindeutig.

Die AfD erreichte in Thüringen unter Höcke 23,4 Prozent. Das Wahlergebnis ist ähnlich gut wie in Brandenburg und Sachsen-Anhalt (2016: 24,3 %) ausgefallen. Nur Sachsen sticht mit ein paar Prozentpünktchen mehr etwas hervor, aber auch das sollte nicht überbewertet werden. Statt dessen ist es ratsam, die Kirche im Dorf zu lassen. Höcke schadet also nicht. Ihn als Messias oder Lichtgestalt zu feiern, dem es allein gelingen kann, das Ruder herumzureißen, greift jedoch ebenfalls zu kurz. Das sollte vor allem sein engster Fanclub begreifen, der mit dieser Vergötterung immer wieder Munition für die unanständige Gegenseite liefert.

Wie heißt es so schön bei Rolf Peter Sieferle in Finis Germania: „Ein zentrales Merkmal der Deutschen ist ihr fundamentaler Sozialdemokratismus, der sich über das gesamte politische Spektrum erstreckt. Sein Kern besteht darin, daß Differenzen aller Art für schlechthin unerträglich gelten. Die politische Formel hierfür lautet: ‚Angleichung der Lebensverhältnisse‘.“ Dieser fundamentale Sozialdemokratismus ist einer der wesentlichen Gründe für das gute Abschneiden der AfD in den Neuen Bundesländern, denn die schon etwas länger hier regierenden Parteien haben es nicht geschafft, ein paar Dax-Konzerne zum Umzug zu bewegen, die Abwanderung aus dem Osten und die Überalterung rechtzeitig zu stoppen und die Infrastruktur des ÖPNV in Schuß zu halten. Es wurden Bahnhöfe geschlossen und unzählige Bahnkilometer stillgelegt. Die AfD wäre dumm, diese Versäumnisse nicht anzusprechen. Zugleich sollte sie die Reife besitzen, die Schattenseiten des Sozialdemokratismus zu erkennen. Ob ihr dieser Spagat gelingt, wird die Zukunft zeigen und von der Umsichtigkeit ihrer Führungspersönlichkeiten abhängen.

Björn Höcke ist ein Politiker, der Dinge anspricht, die sich strategisch denkende Pragmatiker verkneifen. Dafür verdient er Respekt, denn wie oft haben wir uns alle schon über aalglatte Politiker beschwert, die sich nach allen Seiten absichern und nie etwas von Bedeutung sagen, um keine Wähler oder Anhänger zu vergraulen? Es ist selten geworden, daß ein Politiker in historische und philosophische Kategorien vordringt. Wenn Höcke von einer „wohltemperierten Grausamkeit“ spricht, so ist dies nur in diesem Kontext verständlich. Hier geht es nicht um das nächste Gesetzesvorhaben, sondern eine Einschätzung historischer Konstanten, die wiederum Sieferle in Krieg und Zivilisation auf 1500 Seiten analysiert hat. Eine wirklich an inhaltlicher Tiefe interessierte Qualitätspresse müßte hier ansetzen, um Höcke zu knacken.

Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig: Nie zweimal in denselben Fluß.

Die politmediale Öffentlichkeit in Deutschland ist ein artenarmes und steiniges Gelände: Brennessel und Brombeere wuchern, aber sobald sich trotz der der intellektuellen Nährstoffarmut ein anderes Pflänzchen zeigt, soll’s im Namen der Vielfalt mit Herbizid behandelt werden.

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