Zum Eindruck eines Anscheins

von Michael Rieger vom 23. Mai 2018.

Cava sub imagine formae (Vergil)

Die Sonne scheint, es ist warm, der Park ist voll. Die beliebten Wege gleichen einer belebten Einkaufspassage am Samstag. Überall ein Schlendern, Gehen, Rennen, Kinderschreien, Eisschlecken, und obwohl es den Fahrradfahrern durch deutlich sichtbare Zeichen untersagt ist, mit ihren dämlichen Drahteseln hier herumzufahren, muss man stets darauf bedacht sein, nicht von einem umgefahren zu werden. Die Stimmung ist so, wie man sie sich vorstellen mag.

Dem Betrachter fällt eine Frau ins Auge, die jung zu nennen er sich aber nicht traut, und doch, ob ihrer Figur mutmaßt der Betrachter, es müsse sich um eine junge Frau handeln, die dort zum Springbrunnen strebt, um sich fotografieren zu lassen von ihrer Familie. Und dann steht sie dort vor der Fontäne, in ihrer Burka, schwarz, vollverschleiert, vollständig unerkennbar, vollständig verdeckt, der Schlitz für die Augen eröffnet den einzigen Lichtblick, der sie noch erreicht. Eventuell bemerkt sie, wie sie angestarrt wird von den übrigen Betrachtern um die Fontäne herum, oder sie bemerkt es vielleicht auch nicht. Und dann steht sie dort als schattenhafte Gestalt, als Umriss in Schwarz, als Tuch, als von Tuch bedeckte Weiblichkeit, als schleiernde Realität, als verschleierte Person, als nicht oder nicht mehr zu erkennender Mensch, als vielleicht schöne Frau, das weiß in diesem Moment der zufällige Betrachter zumindest nicht. Ein Mann mit dickem Bauch und langem Bart, der über ganz anderes Wissen verfügen dürfte, hält sein Smartphone in die Höhe und – so mutmaßt der zufällig vorbeigehende Betrachter – fotografiert diesen ungreifbaren Schatten, diese mutmaßliche Frau und Person, diese schwarz wehende Gestalt, dieses Tuch.

Nun geht der Betrachter nach Hause und auf seinem Rückweg imaginiert er folgende Situation. Jene schwarz verschleierte, mutmaßliche Frau wird auf dem ihr zur Verfügung gestellten Smartphone das von ihrem Mann gemachte und schließlich zugesandte Foto finden, und es am Tag drauf ihrer Freundin zeigen, die zum Tee vorbeikommt. Oder sie wird es vielleicht, weil das Foto ihr sehr gelungen scheint, in der nächsten Drogerie ausdrucken lassen und anderen Freundinnen und eventuell ihren Verwandten zeigen, ihrer Mutter vielleicht. Und sie wird sagen, hier, das bin ich, da waren wir im Park, wir waren unterwegs und da hat X mich fotografiert, das war wirklich schön. Und ein paar Jahre später wird sie dieses Foto, derweil in einem Album eingeklebt, als Erinnerung an diesen schönen Tag und diesen schönen Moment, ihrer Tochter zeigen, ihrem Sohn, und sie wird sagen, hier, das bin ich, da waren wir im Park, da stehe ich im Park vor der Fontäne, seht ihr?

Und was werden sie sagen, ihre mutmaßliche Tochter oder ihr mutmaßlicher Sohn? Sie werden sagen, ja ganz wunderbar, diese Fontäne, großartig, und wie schön… Und sie werden vielleicht denken, diese Person davor, dieser Schatten in Schwarz, dieser verschleierte, schleiernde Schatten, dieser Schein von Gestalt, das bist du, Mutter, mutmaßlich, das dürftest du sein, Mutter, eventuell, da du es ja behauptest, Mutter, wird es sich sicher so verhalten, doch wir wissen es nicht. Wir können nicht sicher sein, wer auch immer da zu sehen ist, das könntest du sein oder sonst irgendjemand auf diesem Planeten, denn erkennen können dich nicht einmal deine eigenen Eltern, und nicht einmal deine eigenen Kinder. Aber wir glauben dir natürlich, wir denken schon, dass dieses wehende Schwarz, dass das unsere Mutter sein kann, wir haben keinen Zweifel. Und schön, wirklich, das Foto ist wirklich wunderschön. Das muss ein schöner Tag gewesen sein.


André F. Lichtschlag: Feindbild Muslim

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