Virologen in der Technokratie

von Felix Menzel vom 7. April 2020.

Für die aktuelle TUMULT hat Bettina Gruber einen Essay beigesteuert, der sich mit der „Wissenschaft und ihrem Double“ beschäftigt. Mit Blick auf die Diskussion über das Klima befürchtet sie eine „Entdifferenzierung“ unserer modernen Gesellschaft.

Denn: „Es entsteht der Eindruck, als schalteten Teile des Wissenschaftssystems von einer Wahrheitscodierung auf einen moralischen Code um, der wiederum regelmäßig politisch funktionalisiert wird“, so Gruber.

Damit werden zwei wesentliche Erfolgsfaktoren der Moderne zerstört. Die Naturwissenschaften konnten sich nur entfalten, wie sie es in den letzten Jahrhunderten taten, weil sie sich von „anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens, also von Religion, Ästhetik und Moral und Recht“ abspalteten. Hinzu trat „eine Geschichte interner Auffächerung“, also eine Spezialisierung der Naturwissenschaften in Biologie, Physik, Chemie usw.

Sobald nun aber wissenschaftliche Erkenntnisse medienkompatibel sein sollen, gibt es ein Problem. Gruber meint, gerade die Ergebnisse der MINT-Fächer ließen sich nicht „in Erzählungen überführen“. Die Mediengesellschaft neige außerdem dazu, „Parteisoldaten oder Alleinunterhalter zu prämieren, da die fachliche Qualität der Arbeit in diesem Forum sowieso nicht beurteilt werden kann“.

Grubers These muß sogar noch weiter zugespitzt werden: Während ein Wissenschaftler seine Sätze stets mit „Ja, aber …“ beginnt, werden von den Akteuren der politischen Öffentlichkeit zu Recht klare Aussagen erwartet. Die Kunst der Politik ist es dabei, auf der Basis einer unsicheren Faktenlage Entscheidungen für alle zu treffen. Dazu bedarf es großer Staatsmänner, die diese Last gern auf sich nehmen und ertragen.

Wie Alexander Gauland in seinem Buch über Helmut Kohl exzellent herausgearbeitet hat, dominieren heute allerdings jene Politiker, die „Machterhalt als Selbstzweck“ sehen, um „von der Politik“ leben zu können. Parteien seien somit „nicht mehr ein Zusammenschluß gleichgesinnter, unabhängiger Persönlichkeiten, sondern eine Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit“. Besonders tragische Folgen habe dies für das bürgerliche Lager.

Statt in der Tradition Bismarcks Realpolitik zu betreiben, entwickle sich mehr und mehr ein „Middle-of-the-road-Konservatismus“ (Benjamin Disraeli), dem es vorrangig darum geht, nirgends anzuecken. In schwierigen Zeiten ist es deshalb beliebt geworden, die eigene Macht einfach an eine scheinbar höhere Instanz auszulagern.

Hier kommt nun wieder die Wissenschaft ins Spiel. Um sich selbst aus der Schußlinie zu nehmen, übertragen entscheidungsunfähige Politiker im „Ausnahmezustand“ (Carl Schmitt) ihre primären Kompetenzen an Wissenschaftler, die sie damit in ein Dilemma drängen. Weigern sich die Wissenschaftler, die an sie delegierte Macht zu übernehmen, wird man ihnen eine Elfenbeinturm-Mentalität vorwerfen und es werden Stimmen laut, die sinngemäß sagen: „Wozu brauchen wir denn diese Wissenschaftler, wenn sie im entscheidenden Moment zögern?“

Greift die Wissenschaft jedoch bereitwillig zu und diktiert dem Kanzleramt die Agenda, so überschreitet sie die rote Linie ihres gesellschaftlichen Subsystems und Wahrheitscodes. Was dann passiert, konnten wir nun in der Coronakrise beobachten: Das regierungseigene Robert-Koch-Institut befindet sich bei etlichen Fragen wie der Wirksamkeit von Schutzmasken auf einem Schlingerkurs. Aus der Politik kam daraufhin der unverschämte Hinweis, die Wissenschaft sollte endlich eindeutige Handlungsanweisungen abgeben. Genau das ist aber nicht möglich, weil es zur Wahrheit der Wissenschaft gehört, daß jeder Forscher zu einem anderen Ergebnis kommen kann und dies auch solange seine Berechtigung hat, wie das Ergebnis von der Wirklichkeit nicht wiederlegt werden konnte.

Die Herrschaft der Virologen zeigt damit vor allem eins: den dramatischen Verlust politischer Führungsfähigkeit.

(Bild: Pixabay)


Frank Böckelmann: TUMULT Frühjahr 2020

Wir zeigen in dieser Ausgabe 18 Bilder des 1987 in Köln geborenen, seit 2018 in Oberwinter am Rhein arbeitenden Malers und Fotografen Albert Sonnabend. Obwohl er sich in erster Linie als Maler versteht, haben wir uns für eine Auswahl seiner Fotografien entschieden, weil sie Medien und Erträge gesteigerter Empfänglichkeit sind (wohingegen die Gemälde „Tatsachen schaffen“ wollen).

Alexander Gauland: Helmut Kohl. Ein Prinzip

Alexander Gauland schrieb sein vielschichtiges Portrait vor einem Vierteljahrhundert, als er selbst der CDU noch aktiv verbunden und Kohl „sein“ Kanzler war. Es steckt darin eine Zuversicht und Tatkraft, die der Autor bekanntermaßen später in einer alternativen, der CDU abgewandten Partei zu echter Entfaltung bringen sollte.

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