Das Eigentliche sublimieren

Redaktioneller Beitrag vom 16. Dezember 2020.

„Was ist Sublimierung? Ein Mann möchte unbedingt mit einer Frau schlafen, setzt sich aber stattdessen hin und spielt ein Klavierstück. Das ist sehr hübsch!“ So oder ähnlich punktgenau und süffisant beschrieb der heute leider vergessene C. G. Jung (vergessen, obwohl sein Name weiter den Glockenklang des Klassikers hat, ihn aber praktisch niemand mehr liest, bedenkt, weiterdenkt – das blödeste Schicksal, das einem Autor widerfahren kann) den Prozess der schöngeistigen, in sich sogar wertvollen, und dennoch feigen, weil das Eigentliche umschiffenden ERSATZHANDLUNG.

Als ich heute morgen, es war noch dunkel, aus dem Fenster schaute und als erstes mutterseelenallein auf leerer Straße gleich zwei Leute mit Krankenhausmasken auf ihren Fahrrädern sah, hatte ich den Impuls, mich sogleich abzuwenden und, sagen wir, zu einem wunderbaren Buch zu greifen, das ich gerade ohnehin und mit echtem Interesse wiederlese (Nutzloses Dienen von Henry de Montherlant – einem weiteren Klassiker, den heute keiner mehr aufschlägt). Doch hätte ich ob dieser Regung am liebsten auf der Stelle ausspeien mögen. Denn nein, das Schöne, das Gute, das Wahre, die Literatur, die Philosophie, die Musik, all das ist NICHT dazu gemacht, uns – in diesem Fall mich – davon abzuhalten, das Eigentliche zu tun. Das mag in diesem Dezember 2020, da man abends nicht mal mehr vor die Tür darf, weiß Gott vieles bedeuten. Vieles, dessen Realisierung einen ohne weiteres aus der häuslichen in die strafrechtliche Einzelhaft bringen könnte. Doch heißt es für mich zumindest das Eine: den Blick NICHT ABZUWENDEN von all den Eingeseiften, den Belogenen, den Entmutigten, die nichts anderes wissen, lesen, aufnehmen wollen, als die gleichgeschaltete Fabel der Corona-Angstverbreiter. Und warum will, ja warum darf ich mich nicht abwenden? Weil all diese Leute letztlich zu mir gehören, wie ich zu ihnen. Obwohl die Differenzen zwischen uns gerade kaum größer sein könnten.

Wir sind das Volk? Ja, dieses eine. Schicksalhaft auf Erden und in diese Zeit gesetzt. Sehen wir uns also ins Gesicht, mut- und mundlos oder auch anders. Ersatz gibt es erst, wenn wir demographisch weg sind.

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