Das Buch des Jahres!

von Felix Menzel vom 22. Dezember 2020.

Da Eigenlob bekanntlich stinkt, überlassen wir lieber Ihnen eine Bewertung unserer Neuerscheinungen des Jahres 2020. Vielmehr möchte ich heute ein Buch mit Lob überschütten, das bisher kaum Beachtung fand. Jürgen Trabant hat mit „Sprachdämmerung“ eine grandiose Liebeserklärung an die deutsche Sprache verfasst, die zugleich ein leidenschaftliches Plädoyer für Sprachenvielfalt ist und klar benennt, welche Verluste mit der Dominanz des „globalesischen“ Englisch einhergehen.

Der 78-jährige Trabant ist seit 1980 Professor für Sprachwissenschaft. Den Zauber der Sprache sieht er darin, daß mit ihr eben nicht nur Dinge benannt werden („Das ist ein Auto.“), sondern Bilder hervorgerufen werden und Weltansichten entstehen. Die Sprache färbe das Denken, führt er aus. Damit spinnt er einen Faden weiter, den bereits Gottfried Wilhelm Leibniz und Wilhelm von Humboldt in der Hand hatten.

Humboldt war es, der im Zuge der preußischen Reformen erkannte, daß die Sprache nicht nur „die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker“ darstellt, sondern der Geist einer Nation sich erst durch die verschiedenen Sprachen manifestieren kann. Nur wer in seiner eigenen Sprache denkt, entwickelt eine eigene Sicht auf die Welt.

Die Bevorzugung der lateinischen bzw. der französischen Sprache durch die gehobenen Schichten bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war daher verständlicherweise vielen deutsch denkenden Philosophen ein Dorn im Auge. Leibniz ist hier sicherlich als wichtigster Protagonist zu nennen. Sprachen sah er als „älteste Denkmäler des Menschengeschlechts“ an und beklagte, wie nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-48) die deutschen Eliten „zur Kultur der Sieger übergelaufen“ sind, erklärt Trabant.

Er bringt dabei den Mut auf, die zahlreichen Parallelen zur Gegenwart deutlich herauszustellen. Zum einen drifte heute eine „anglophone Aristokratie“ aus unserer Sprachnation ab. Wer etwas werden möchte, konzentriere sich auf Englisch. Das fängt inzwischen teilweise bereits im Kindergarten an, geht weiter in der Schule, wo einzelne Fächer des Sachunterrichts in der ersten Fremdsprache abgehalten werden, und gipfelt an den Universitäten, die immer mehr zur globalesischen Einsprachigkeit neigen. Zum anderen findet Trabant auch die richtigen Worte zur „nationalsozialistischen Sprachvergiftung und der postnationalsozialistischen ‚Sprach-Scham‘“.

Im Deutschland des 20. Jahrhunderts wurde also leider mehrfach die „sprachliche Waschmaschine“ angeworfen. Das Endergebnis ist jedoch nicht sauber und rein, sondern farblos. Und wer farblos spricht, denkt einfältig und meist nur in vorgegebenen Bahnen. In dieser ohnehin suboptimalen Situation kommt nun noch die „Cancel Culture“ hinzu. Trabant nimmt sie als einen „sprachlichen Bürgerkrieg“ wahr, wirft der Bundesregierung vor, ein „Sprachreinheitsministerium“ eröffnet zu haben und geißelt die „aktuelle permanente semantische Revolution“ als „terroristischen Druck auf die Alltagssprache“.

Damit führt uns Trabant zu einer weiteren Erkenntnis von höchster Relevanz: Er verteidigt die ungehobelte Volkssprache. Sie habe ihre Daseinsberechtigung, auch wenn sie scheinbar Unwahres zum Ausdruck bringt. Wissenschaftlich betrachtet, geht die Sonne natürlich niemals unter. Trotzdem wissen wir alle, was mit einem Sonnenuntergang gemeint ist und sollten uns auch an ihm und diesem Sprachbild erfreuen dürfen. Gestehen wir diese Freiheit der Sprache nicht mehr zu, wird sie steril und unfruchtbar.

Unser Autor Michael Esders hat den smarten Totalitarismus des gegenwärtigen Sprachregimes bereits schonungslos dekodiert. Trabant macht das weniger ausführlich, brennt dafür aber auf acht Seiten ein regelrechtes Feuerwerk zu diesem Thema ab. Seine hier geäußerte Kritik ist an Schärfe kaum zu überbieten. Es ist ein Wunder, daß der C.H.Beck-Verlag das zugelassen hat.

Vielleicht war diese notwendige Zuspitzung nur möglich, weil Trabant ansonsten sehr feinfühlig und kenntnisreich die verschiedenen europäischen Sprachkulturen beleuchtet. Renovatio Europae bedeutet für ihn, Sprachen zu erlernen, um die dahinterstehende Kultur und verschiedene Weltansichten zu bewahren. Diese Bewahrung ist kein reaktionäres Unterfangen. Sie beherbergt vielmehr Wahrheiten, die nur in einer bestimmten Sprache zur Geltung kommen können, und ermöglicht so ein spezifisches Denken.

Die Frage nach dem vordergründigen praktischen Nutzen einer Sprache ist für Trabant indes zweitrangig. Denn wer dieses Argument aufruft, redet der globalen Vereinheitlichung das Wort. Eine Naturwissenschaft kann ihre Erkenntnisse mit einer globalesischen Einheitssprache vermutlich sogar am besten generieren, weil dadurch alle Wissenschaftler weltweit am Gedankenaustausch teilnehmen können. Ebenso gibt Trabant zu, daß es für die Philosophie problematisch ist, die Sprachenvielfalt zu berücksichtigen, weil dadurch eine absolute Wahrheit ausgeschlossen bleibt. Die Sprachen stehen der absoluten Wahrheit im Weg.

Da Geisteswissenschaften im Gegensatz zu den Naturwissenschaften dann am lehrreichsten sind, wenn sie viele Sichtweisen hervorbringen, ist das aber auch gut so. In diesem Sinne läßt sich mit Heidegger ergänzen: „Das Bedenklichste ist, daß wir noch nicht denken; immer noch nicht, obgleich der Weltzustand fortgesetzt bedenklicher wird.“ Obwohl Trabant Heidegger vorwirft, die „Historizität“ der Sprache vernachlässigt zu haben, dürfte er dieser Sentenz zustimmen.

Er macht sich schließlich keine Illusionen darüber, wo wir stehen. „Wir leben vermutlich im letzten historischen Moment der Sprache, die dabei ist, in den nächtlichen Schacht des globalisierten Geistes, früher Weltgeist genannt, zu fallen und dort auf ewig zu verschwinden.“

Jürgen Trabant: Sprachdämmerung. Eine Verteidigung. C.H.Beck. 29,95 €. München 2020.

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