Am großen Strom

Von Frank Sämmer vom 23. Februar 2022.

Frank Sämmer, „Arkanum“, 2005, Öl auf Leinwand, 135 x 200 cm

Später im Jahr trafen sich die beiden kriegsversehrten Freunde an einem hellen Tag auf halbem Weg im Schatten des alten Städtchens Zons am Rhein. Dort saßen sie unter einem winderprobten Eichenbaum im Auenland, am Bogen des großen Flusses und sahen den Schiffen nach, die auf den Wellen hin und herfuhren, von Horizont zu Horizont bis zum weiten Meer.

Man besprach den jüngsten Gang der schlimmen Dinge und wie sie fast noch schlimmer werden könnten. Aber den beiden war doch auch recht bunt im Kopf und etwas leichter um das Herz als noch vor kurzer Zeit.  Sie hatten es bis hin zwar nicht geschafft, ihren Mäusefeldzug gegen den weißen Wahn totalitärer Weltherrschaft zu einem verschärften Waldgang des alles entscheidenden, endgültigen Widerstands zu machen, doch immerhin erkannt, dass die schrecklichen Froschkönige letzter politischer Übergriffigkeit bei ihrem Kampf gegen den Rest der Welt und ihre tatsächlichen, gesunden Lebenskreise in schließlich unverständlicher Dummheit und Verblendung an der Evidenzlosigkeit ihrer sauberen Pläne und der Sündhaftigkeit ihrer Fliegenfängerseelen würden scheitern können.

Vielleicht hatten die beiden schließlich nur noch einmal einen kleinen Anstoß gebraucht, deutlicher wahrzunehmen, was ihnen aber schon längstens als bedrohliches Ahnen und Wähnen persönlich tief eingeschrieben war, dass sie den jüngst erlebten Schrecken gebraucht hatten,
um nun ganz sicher zu sein, dass der Boden für das Unheil schon lange vorher ausgelegt war und dass sie, was immer auch an Schicksal kommen sollte, die dermaßen dekonstruierte alte Welt so ursächlich bestimmt nicht mehr wiederhaben wollten.

Das böse Spiel schien vorüber, jetzt musste man selbst wieder heil werden.
Und wie klar die Augen jetzt nach vorne blicken konnten!
Mit der letzten Attacke einer komplett maroden Obrigkeit zum bloßen Machterhalt gegen die natürliche Befähigung des Menschen zu autonomem Denken und sinnvoller Selbstverortung in der Welt durch bislang unvorstellbare Denkverbote und der Kriminalisierung kritischer Gedanken, besonders wenn es die absolutistisch entarteten korrupten Demokraten unserer unkündbaren Herrschaft betrifft, hatten die unsterblichen Utopisten schließlich gründlich überzogen.
Darum wussten die beiden Männer im Moment und unwiderruflich, dass auch die weltpolitische Agenda der letzten hundert Jahre Lug und Trug war, und sie selbst mit ihren kleinen Leben darin nur haltlose politische Verfügungsmasse, dauernd verstrickt in die bösen Machenschaften unpersönlicher Inanspruchnahme.

Ab nun war Selberdenken lebenswichtig und jedes bürgerliche Widerwort, jeder freie Gedanke gegen den alles verschlingende Leviathan. Alle Denkverbote fielen ab, alle Schuldzuweisungen, alle verrückte Vormundschaft. Durch Deutschland wehte ein kleiner, lösender Wind, und auch das Ende alliierter Knechtschaft wurde denkbar. Das Drachengift der Feinde ist bitter, aber in wohlbedachter Dosis rechtes Gegengift.

So traten die Freunde zur Uferböschung des Flusses, nahmen vier rundgeschliffene, flache Kiesel zur Hand, besprachen sie verschwörerisch und warfen einen nach dem anderen in das grüne wirbelnde Wasser.

Auf dem einen stand unsichtbar Staatswissenschaft geschrieben:
möge das Wissen, welches keine Erkenntnis befördert und auch kein Seelenwissen ist, dem Vergessen anheimfallen. Von den Besserwissern kommt alles Verderben.
Der zweite Stein hieß Staatskünstler:
möge die Metaphysik der freien Anschauung und ihrer Sinnbilder gegen die obrigkeitlich verordnete Nullkunst obsiegen.

Ein dritter beschrieb die deutsche Staatsdemokratie:
als entartete und umgedrehte politische Form eines neuen Totalitarismus.
Wenn ein Volk derartige Tagediebe und Katastrophenwilly’s als politische Führer hat, braucht es um fremde Feinde wahrlich nicht zu fürchten.

Der letzte Kiesel benannte den abstraktionistischen Zentralismus:wenn doch immer mehr Menschen der aufgenötigten Lenkung ihrer natürlichen Lebensumstände zu widersprechen bereit wären und unser Überlebenswille auf die befreiende Tat für den Erhalt des Eigenen hoffen könnte.

Also sprachen der Philosoph und der Maler und beide waren vergnügt.
Sie schauten zum Himmel auf und vertrauten ihre schweifenden Gedanken dem heimatlichen Wolkenflug an.

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