Freiheit, oder: Berliner Luft

Vom 16. Juli 2016.

Manuscriptum erklärt die Welt, heute: Freiheit

Komplizierte Sache, das mit der Freiheit. Gegenbegriff zu, aber auch Synonym für Demokratie. Da fällt uns ein: Berlin ist toll. In Berlin darf man Hauswände beschmieren, auf die Straße pinkeln, »Bullen« beleidigen, Autos abfackeln, autonome Enklaven gründen, in der U-Bahn sein Wegbier wegtrinken, im Park oder auf dem Bürgersteig pennen und an bestimmten Tagen wie dem CSD sogar vögeln. Gefährlich lebt man in der Hauptstadt nicht als Sittenstrolch, sondern als Radfahrer, besonders dann, wenn man sich im Straßenverkehr auch noch mit Vertretern deutsch geheißener, uns im Gegensatz zu uns selbst aber bereichernden Volksgruppen anlegt.

Ach, lassen wir das, wenden wir uns der reichen Kultur ab und der hohen zu: Platon vermochte in seiner Politeia (563 a) die Rücksichtslosigkeit im Straßenverkehr auch ohne Automobilisierung als Auflösung der Demokratie zu deuten. Wer als Autofahrer oft genug erschreckt wurde, weil er beinahe mit einem Radfahrer ohne Licht zusammengestoßen wäre, der kennt die notorische Uneinsichtigkeit, mit der diese gewiss geplagte Spezies ihrerseits alle Verantwortung dem Stärkeren zuschiebt, diese seltsame Koketterie mit dem moralischen Mehrwert des Märtyrertodes.

Als doch neulich drei Radfahrer, einen belebten Gehweg zur Abkürzung nutzend, von einem ziemlich schnellen, für die Fußgänger ebenfalls nicht ungefährlichen Inlineskater angeschnauzt wurden, es gebe doch einen Radweg, da wurde klar, dass sie in ihm ihren Meister finden könnten. Der anarchische Rollenfüßler braucht seinen Eigensinn nicht mehr mit der repressiven Verletzlichkeit des Gutmenschen zu panzern. Noch weniger braucht sich nur der prügelnde Deutsche dunkler Hautfarbe seines Benehmens zu schämen … Herrliche Zeiten sind das, wo Pferde und Esel daran gewöhnt sind, frei und vornehm immer geradeaus zu gehen und vor keinem Menschen auszuweichen, denn da ist, wie Platon sagt, auch alles andere »voll Freiheit«.

Bild: © Loui Loui

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