Sind wir noch zu retten?

Vom 2. November 2016.

Wenn der Schutzmann nicht mehr klingelt

Am 1. November, pünktlich an dem Tag also, an dem die Christen ihrer Heiligen gedenken (und somit auch, wie passend, mancher ihrer Märtyrer) widmete sich Reinhard Müller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den »Rechtsfreien Räumen«. Er beklagt in seinem Kommentar die Tatenlosigkeit der Justiz, die immer häufiger Delikte nicht verfolgt. »Keine Zeit, kein Geld, unterbesetzt! Warum fahren Sie überhaupt BMW?« so schallt es manchen um sein Gefährt erleichterten Bürger aus den polizeilichen Dienststellen entgegen. Müller verweist auf die Preisgabe des öffentlichen Raumes, der zu innerstädtischen Kriegsgebieten verkommt und manch einen unbedachten Spaziergänger zu lebensrettenden Jungle-Circuits zwingt (zu deutsch: Spießrutenlauf). »Warum laufen Sie auch nachts durch den Park?« hören wir den Schutzmann sprechen. Müller erwähnt unsere Bahnhöfe, diese Empfangsinfernos für Reisende, in denen man froh sein muß, wenn man dank des Angebots der dortigen morgenländischen Schattenwirtschaft wenigstens sediert zu Tode kommt.

Dabei bringt der Autor das Legalitätsprinzip in Stellung, welches den Staat dazu verpflichtet, bei Straftaten zu ermitteln. Er versäumt es jedoch, auch das Opportunitätsprinzip zu berücksichtigen, daß in etwa so geht: Es kann der Fall auftreten, daß es nicht opportun ist, wegen Totschlags zu ermitteln, wohingegen es sehr wohl opportun sein kann, Steuerdaten-CDs von Datenpiraten auf den Bahamas zu erhehlen. So oder so ähnlich jedenfalls …

Aber wir geben Reinhard Müller natürlich Recht: Was ist ein Staat wert, der seine Bürger nicht schützen kann (oder nicht will? Man denke an Jürgen Roths Buch Ermitteln verboten?Warum die Polizei den Kampf gegen die Kriminalität aufgegeben hat)

Niemand hat den Mythos vom kollektiven Schutz durch den Staat grundlegender zerlegt als unser Autor Hans-Hermann Hoppe, der zu Beginn des 12. Kapitels (Über Regierung und die private Produktion der Verteidigung) seines Buches Demokratie. Der Gott der keiner ist folgendermaßen Position bezieht: »Zu den populärsten und folgenreichsten Glaubenssätzen unserer Zeit gehört der Glaube an die kollektive Sicherheit. Nicht weniger als die Legitimität des modernen Staates beruht auf diesem Glauben. Ich werde zeigen, daß die Idee kollektiver Sicherheit ein Mythos ist, der keinerlei Rechtfertigung für den modernen Staat liefert, und daß alle Sicherheit privat ist und sein muß.«

Wir raten daher dringend dazu, zu Hoppe zu greifen. Wer zu bedrängt ist, um das Buch lesen zu können, tröste sich: Das Werk ist dick genug, um es dem nächsten Einbrecher an den Kopf zu werfen.


Hans Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott der keiner ist

Dieses Buch ist frenetisch bejubelt und donnernd verdammt worden: Es ist eine fulminante Kritik an Idee und Praxis der westlichen (Medien-)Demokratien, denen Hoppe vorwirft, unter der Fahne der Freiheit die Unfreiheit zu organisieren und die Gegenwart aus der Zukunft zu subventionieren. Hoppe kommt aus dem Umfeld der amerikanischen „libertarians“, die man sich hierzulande gern als „anarcho-kapitalistisch“ erklärt. Aber: Seine Demokratie- und Staatskritik atmet kulturkonservativen Geist, und die staatlich betriebene kulturelle Deregulierung erscheint ihm eher als organisierte Dekadenz. 

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