Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht soweit …

von Michael Rieger vom 20. August 2018.

Ein kurzer Rückblick auf die SED-Diktatur: Das Elend des realexistierenden Sozialismus bestand nicht zuletzt darin, dass, abgesehen von Honecker und Mielke, so ziemlich allen alles am Arsch vorbeiging.

Niemand fühlte sich verbunden mit dem halluzinierten „Volkseigentum“ – und wer fühlte sich schon wohl und aufgehoben im Großkombinat? Jeder machte vor sich hin. Natürlich, die Deutsch-Sowjetische Freundschaft war unmittelbarer, direkter und ehrlicher Ausdruck täglicher, inniger, rückhaltloser Liebe der DDR-Deutschen zu den Russen, denn die hatten sie ja befreit. Und die Brigaden – der alte Trotzki hätte es nicht besser, sondern nur schlimmer gemacht – verdanken ihren Namen jenem geistreichen Prozess der Militarisierung der Gesellschaft, die, ach, dann doch nur das Gegenteil des mündigen Bürgers hervorbrachte, weshalb auch Rolf Henrichs großartige Wendung vom „vormundschaftlichen Staat“ (1989) so treffend gewählt war (wobei das gleichnamige Buch natürlich nur im Westen erscheinen konnte und seinem Autor einigermaßen Scherereien machte).

Der Staat gab allen etwas, ob sie es wollten oder auch nicht; der Staat wusste genau, was die Menschen wollten – oder auch nicht. Aber das spielte 1989 letztlich auch keine Rolle mehr.

Die DDR war die Manifestation, die Inkarnation jener von Wilhelm Röpke beschriebenen „Stallfütterung“, der die SPD bis heute, noch ohne gleichwertigen Erfolg, hinterherhechelt. Und Röpke sah sehr klar und unmissverständlich, dass die „Stallfütterung“ doch nur bewusstlose, angepasste, identitätslose, frustrierte Menschen hervorbringe – während sich, so Röpke, doch nur verwurzelte und eingebettete Menschen auch wirklich für das große Ganze verantwortlich fühlen.

Eine Binsenweisheit, die stets mit Freude missachtet wird, nicht nur bei den Gewerkschaften.

Was geschieht, wenn sich Menschen, die weder verwurzelt noch eingebettet sind, sondern bestenfalls „stallgefüttert“ daherkommen, kann man also am Schicksal der vierzig Jahre währenden, deutschen, demokratischen SED-Diktatur ablesen. Je mehr Menschen in einem Land zusammenströmen, die hier weder verwurzelt noch eingebettet sind, umso weniger herrscht jene notwendige Verantwortlichkeit für das große Ganze. Oder andersherum: die Verantwortlichkeit für das große Ganze nimmt nachweisbar in dem Maße ab, in welchem mehr und mehr Menschen, die hier weder verwurzelt noch eingebettet sind, hinzukommen zu jenen von der Sozialdemokratie bereits entsprechend vorbereiteten, eingeschworenen, identitätslosen, frustrierten Heimatlosen. Das Maß der Verantwortlichkeit für das große Ganze nimmt rapide ab.

Die gegenwärtige Politik läuft auf die fortgesetzte Absenkung jenes typisch bürgerlichen, für das Gemeinwohl unerlässlichen und für das gesellschaftliche Ganze notwendigen Gefühls der Verantwortlichkeit hinaus, bis das Niveau der DDR erreicht ist, das der eigentlichen Vollstreckerin jener Politik letztlich bekannt sein dürfte. Die Tore sind heute, wie noch nie, weit, weit geöffnet für egoistische Spinnereien, absurde Gruppenansprüche, partikularistische Grabenkämpfe, staatlich alimentierte, also gewerkschaftlich sanktionierte, also hysterisch vorgetragene Verteilungskämpfe – die das große Ganze unter sich begraben haben dürften, wenn wir uns den Sand aus den Augen gerieben haben werden.

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