Fässer ohne Böden oder: Nur noch negative Margen ¹

Notenbanken haben den Auftrag, den Geldkreislauf zu sichern, so wie es einem Hausmeister obliegt, den Kreislauf heißen Wassers in einer Heizung zu gewährleisten. Schwund in Kreislaufprozessen deutet auf ein Leck (oder einen Fremdzapfer) hin. Der Hausmeister wird dem Mißstand auf den Grund gehen, die Notenbanken speisen einfach nach –„whatever it takes“.

Die Notenbanken sind die einzigen bilanzierenden Wirtschaftssubjekte im weiten Erdenrund, die ihr Eigenkapital per Knopfdruck erhöhen können, wenn sie die Kapitalzufuhr umgehend in die Welt verteilen und dabei allerlei „Wertschriften“ als Pfänder einsammeln. Von dieser Gunst machen sie exzessiven Gebrauch, so daß ihre seit 20 Jahren sich blähenden Bilanzen wirken, als seien sie von einer Hefegärung belebt. Um das Jahr 2000 hatten sie bei EZB und FED noch jeweils ein Volumen von 800 Milliarden Euro bzw. USD. In diesen Tagen des Jahres 2020 werden sie die Marken von 5 Billionen (EZB) oder 6 Billionen (FED) überschreiten. Einige weitere Kennzahlen, die den Geilwuchs des Finanzsektors illustrieren:

Kernkennzahlen Finanzen Euroraum 2000 bis 2020 in Billionen €

Durch einfache Division kann man feststellen, daß im Euroraum 1 € an Wachstum des Bruttoinlandsprodukts einen Einsatz von 2,11 € an Ausweitung der M3-Geldmenge und 1,26 € an Ausweitung der Staatsschulden erforderlich machte.

Die Verhältnisse sind im wörtlichen und übertragenen Sinn völlig „verrückt“. Wir sind im Bereich strukturell negativer Margen: Alles, was getan wird, kostet mehr als es einträgt.

Wo ist das Leck?

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Öl unter Null

Am 20. April war es so weit: Rohöl, der Stoff, um den noch in jüngster Zeit allerlei Luftkrieg und Gemetzel stattfand, wurde in seiner amerikanischen Form (West Texas Intermediate =WTI) zu negativen Preisen gehandelt, also wie Abfall, dessen Entsorgung einen Preis hat. An diesem Handel waren allerdings weder Ölerzeuger noch Ölverbraucher beteiligt, sondern nur Spekulanten, die auf einen steigenden Ölpreis gesetzt hatten und nun zunächst von der russisch-saudi-arabischen Preiskabale zulasten der amerikanischen Fracking-Industrie und dann noch viel heftiger vom Einbruch des globalen Ölverbrauchs durch den Corona-Lockdown auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Sie mußten ihre kreditgehebelten Optionen auf Öl loswerden – koste es, was es wolle –, denn die Broker verlangten Nachschuß. Wer mit dieser Warentermin-Marginalie seinen Optimismus hinsichtlich unserer Energieversorgung füttern will, begeht einen Kardinalfehler. Wie in allen Rohstoffmärkten ist auch beim Rohöl zunächst einmal der spekulative Handel mit Derivaten preisbildend. Er übersteigt die physischen Geschäfte um das Zwanzigfache.

In einem Aufsatz in der 2018er Sommerausgabe der Tumult hatte ich vom bevorstehenden „Ende der Reichlichkeit“ gesprochen, weil sich in der Energiegewinnung mit atemberaubendem Tempo das Gesetz fallender Grenzerträge zur Geltung bringe. Hier nur in Kurzform und etwas salopp (auch was Periodisierung und Verhältniszahlen angeht):

In den vergangenen 70 Jahren gab es unter Energiegesichtspunkten drei einander schnell ablösende Zeitabschnitte:

Die 1:50-Jahrzehnte (ca. 1950 bis 1970), in denen mit 1 Barrel Öl 50 neue Barrel Öl gefördert, aufbereitet und bereitgestellt werden konnten. Aus dem Verhältnis 1:50 entsprang der Massenwohlstand der Nachkriegszeit; Arbeit und Kapital teilten sich den springflutartigen Überschuß im Verhältnis 3:1.

Die 1:18-Jahrzehnte (ca.1970 bis 1990), in denen mit einem Barrel Öl 18 neue Barrel Öl gefördert, aufbereitet und bereitgestellt werden konnten. Das verengte Verhältnis schmälerte die Verteilungsspielräume zulasten beider Seiten, Arbeit und Kapital. Die Staaten machten sich als Lückenbüßer bereit und sprangen mit steigenden Staatschulden in die Wohlstandsbresche; die Finanz- und die privaten Akteure folgten. Die nachfolgende Grafik zeigt die in den 80er Jahren abhebende Schuldenkurve am Beispiel der USA (Schulden der Körperschaften, Banken, Nichtbanken und Privaten). Die Verläufe in Europa waren ähnlich, wenn auch zunächst flacher.

Die 1:10-Jahrzehnte (ca. 1990 bis 2010), in denen mit einem Barrel Öl nur noch 10 neue Barrel Öl gefördert, aufbereitet und bereitgestellt werden konnten. Der weiter geschrumpfte Überschuß wurde schmerzlich. Der Wohlstand schmolz tatsächlich. Die Schuldenmassen wuchsen kompensatorisch.

Das 1:5-Jahrzehnt (ca. 2010-2025/2030), in denen mit einem Barrel Öl nur noch 5 neue Barrel Öl gefördert, aufbereitet und bereitgestellt werden können. Die weiter gestiegenen Schuldenvolumina hatten einen Finanzsektor aufgeblasen, der die Realwirtschaft inzwischen um das Fünffache überwachsen hat. Die Finanzökonomie simulierte mathematisch, was in der physischen Wirtschaft mangels eines Energieüberschusses nicht mehr realisiert werden kann: Wertschöpfung.

Das 2:1-Jahr: (202x/203x), in dem 2 Barrel Öl nötig sind, um 1 Barrel Öl zu fördern, aufzubereiten und bereitzustellen. Die Periode ist logischerweise nur sehr kurz, wenn sie sich auch tatsächlich über etliche Jahre erstrecken wird, weil die hier skizzierten Wirkungen des Ertragsgesetzes je nach Energierohstoff und Fördergebiet unterschiedlich scharf einschlagen. Die Erdgasvorkommen werden nach Wegfall des Erdöls sehr schnell verbraucht. Die erneuerbaren Energien spielen keine Rolle oder nur eine lokale in verfallenden industriellen Großstrukturen. Für den Umstieg von einer thermoindustriellen auf eine elektroindustrielle Gesellschaft (mit Kernkraft als zentraler Quelle) fehlen sowohl die Zeit als auch die Energieüberschüsse.

Der Preis der Barrels Öl wird schließlich gegen unendlich gehen, trotzdem wird niemand mehr fördern, womit dann auch erwiesen wäre, daß keineswegs alles eine „Frage des Preises“, sondern letztlich alles eine Frage der Energie ist.

Die kleine Skizze macht deutlich: Die Leckage-Verluste, von denen oben im Zusammenhang mit der „what-ever-it-takes“- Verzweiflung der Zentralbanken die Rede war, lassen sich auch mit weiteren Fantastilliarden nicht ausgleichen. Sie geschehen in der Welt der wirklichen Wirtschaft, wo alle finanzmathematischen Konstruktionen zuschanden werden. Geld läßt sich drucken oder noch unkörperlicher durch eine Buchung schaffen. Energie nicht, Energie im Überschuß noch viel weniger. Und „Wirtschaften“ ist niemals etwas anderes als

Energiemanagement. Alles andere ist nur eine Simulation.

[1] Geldmenge M3 = Banknoten/Münzen+ Bargeldumlauf Nichtbanken+Sichteinlagen+Geldmarktfonds, Repoverbindlichkeiten, Geldmarktpapiere und Bankschuldverschreibungen.

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