Ranke ohne Gott. Ein Nachruf auf Ernst Nolte

von Andreas Lombard vom 1. September 2016.

Allein die Art und Weise, wie Ernst Nolte über den Titel seines neuen Buches sprach, das er 2009 im Landt Verlag veröffentlichen sollte, führte ins Zentrum seines geschichtsphilosophischen Denkens. Den von mir vorgeschlagenen Haupttitel Der Islamismus lehnte Nolte ab. Er bestand darauf, bei der indirekten Umschreibung Die dritte radikale Widerstandsbewegung zu bleiben und fand sich einzig zu dem Kompromiss bereit, den Islamismus nach einem Doppelpunkt als gleichsam letzten Waggon erläuternd anzuhängen. Damit war der Zusammenhang mit den beiden anderen, durchaus modernen Widerstandsbewegungen gegen die Moderne, wie Nolte Kommunismus und Nationalsozialismus verstand, hergestellt. Ihr horizontaler, gerade nicht hierarchischer Zusammenhang war ihm für das Verstehen wichtiger als das jeweilige Phänomen als solches. Nolte war ein Ranke ohne Gott.

Die Stimmung, die über unseren Treffen lag, war ernst und schwer, wenngleich aufgeräumt und freundlich. Wir sprachen über Vertragliches, als mein Blick auf jene Deformierung seiner Hand fiel, die ihm den Kriegsdienst erspart hatte. Mehrere Finger sahen aus wie kupiert. Auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob es sich überhaupt um die bekannte Behinderung handelte. Die angeborene Fehlbildung und eine Art Kriegsverletzung legten sich als Doppelbild übereinander. Dabei wusste ich es durchaus besser, denn anders als sein gefallener älterer Bruder hatte Nolte den Zweiten Weltkrieg unversehrt überstanden und sogar studieren dürfen.

Der Bruder wurde ein Teil von ihm. Nolte hat bekannt, dass er die historische Forschung als einen Auftrag empfand, der wesentlich dem Gefühl entsprang, unverdient überlebt zu haben. Daher auch sein lebenslang mit höchstem Anspruch und soldatischer Disziplin bewältigtes Arbeitspensum. Dieses Gefühl der Überlebensschuld, besser bekannt von Angehörigen und Nachfahren der Holocaustopfer, hätte die gouvernantenhafte öffentliche Kritik ihm leicht als eine weitere bösartige Relativierung ankreiden können.

Lorenz Jäger hat in seinem Nachruf Noltes unmittelbares Erlebnis beider großer Ideologien seiner Zeit, Kommunismus und Nationalsozialismus, überzeugend aus dessen Kindheit und Jugend in den dreißiger Jahren hergeleitet. Der interessierten Abneigung Noltes fügte die innere Kriegsverletzung ohne Kampf und Wunde ein zweites, ebenfalls deutlich unterschätztes Movens hinzu. In seiner Askese konnte Nolte heiter sein, aber nicht unbeschwert. Er machte kein Hehl daraus, dass er es als eine der vielen Demütigungen ansah, in einem Kleinverlag zu publizieren, nachdem sein Buch über den Islamismus bei Propyläen nicht hatte erscheinen dürfen. Das brennende Auto und die körperlichen Angriffe, einschließlich der ernsten Gefahr für sein Augenlicht, lagen da schon lange hinter ihm.

Hinter dem sachlichen Ton, in dem er über diese Dinge zu sprechen pflegte, bebte durchaus Zorn. Die Vergangenheit, die nicht verging, war in seinem Fall ein Kreuzungspunkt von kollektiver und individueller Biografie. Besonders in den Jahren vor der Wiedervereinigung durfte Hitler nicht sterben, und er darf es bis heute nicht. Hitler wird mit allen erdenklichen Mitteln am Leben erhalten. Das führt uns zu einer weiteren Konstellation, die ebenfalls im Schatten der grellen Auseinandersetzungen verblieb. In einem Nachruf stand, dass der elfjährige Ernst Nolte im Wartezimmer eines Arztes die ihn schockierende Übersetzung einer sowjetischen, antikatholischen Kampfschrift gelesen habe. An der Vergebung der Sünden bricht sich eben die Welle einer jeden modernen Revolution. Kommunismus, Nationalsozialismus und verschiedene machtgestützte Nachkriegsideologien wie die Holocaustreligion hatten die Maximierung des Schuldgefühls zum gemeinsamen Nenner – ein Ansinnen, dem sich der Katholik Nolte mehr instinktiv als aus theologischen Gründen entzog.

Die These von der Einzigartigkeit des Holocaust ist ein Ästhetizismus, der einen hohen Preis kostet. Vor dem erhabenen Schrecken sind alle Bemühungen der Aufarbeitung und Wiedergutmachung per Definition zum Scheitern verurteilt. Das »Volk der Täter« muss zu seiner Ehrenrettung alles tun, darf aber nicht hoffen, irgendetwas damit zu erreichen. Zum Zuge kam fortan eine klappernde geistige Mechanik, die blind war für das wirkliche Leben und für reale Chancen zur Versöhnung. Sie machte jeden, der auch nur den leisesten Zweifel anmeldete, zum öffentlichen Angeklagten und sodann zum Outlaw.

Die kollektive Hysterie, die sich mit regelrechter Täterenergie an »Revisionismus« und »Relativierung« entzündete, lenkte erfolgreich von dem bis heute ungelösten Konflikt ab, der dem Gepränge der Feuilletonreden tatsächlich zugrunde lag. Dieser fortdauernde Konflikt wird die moralistische Richterpose der Habermas-Fraktion früher oder später in einen Pyrrhus-Sieg verwandeln. Hannah Arendt wusste, worum es ging, ohne dass sie versucht hätte, den Konflikt einer Lösung zuzuführen. Sie hat ihn u.a. in ihrem Buch Vita activa klar benannt. These 1 lautete: Es gibt kein dauerhaftes menschliches Zusammenleben ohne Vergeben und Vergessen. These 2 lautete: Es gibt ein »radikal Böses« (dem bei ihr eine falsche Interpretation Kants zugrunde lag), welches das Vergeben und Vergessen unmöglich macht. Demnach wären Vergeben und Vergessen »nach Auschwitz« zugleich notwendig und unmöglich. Was nun?

Noltes Thema war das nicht, Noltes suchte nach der objektiven Wahrheit des historischen Geschehens durch unparteiliche Anschauung. Der Historikerstreit skandalisierte diesen Ansatz. Den Volkspädagogen erschien Nolte bloß verstockt. Durchgesetzt wurde bekanntlich Arendts zweite These. Festgeschrieben wurde, dass Vergeben und Vergessen nach dem Holocaust unmöglich und unmoralisch seien – eine auf den ersten Blick vielleicht verständliche Position, die aber, was auch immer man von ihr halten mag, ohne Hochmut nicht zu haben ist. Nur scheinbar löst sie das zugrundeliegende Problem.

Die Folge war ein brutaler Vernichtungsfeldzug, der in einem Jenseits von Vernunft und Wissenschaft sowie von Recht und Gesetz stattfand. Denn im Kern enthält die These von der Einzigartigkeit des Holocaust, der Nolte mit dem Präzedenzfall der »asiatischen Tat« bloß die Spitze nehmen wollte, eine Rachephilosophie. Diese Rachephilosophie gebar jene frivole und seit langem institutionalisierte öffentliche Heuchelei, mit der die negativ identitären Deutschen noch siebzig Jahre nach Hitler – ihm folgend – ihre angebliche Nichtswürdigkeit kultivieren. Das reicht bis zum dekadenten, tausendfachen Import der aggressivsten »Hasskriminalität«, die der Weltmarkt des Krieges derzeit zu bieten hat, des islamistischen Terrorismus. Nolte, der zurecht vor ihm gewarnt hat, kämpfte bis zuletzt an der Seite seines gefallenen Bruders. Das vor allem konnte ihm das »kritische« Deutschland nicht verzeihen.

Er ruhe in Frieden.

Ernst Nolte wurde am 11. Januar 1923 in Witten geboren; er verstarb am 18. August in Berlin. Ernst Nolte war einer der bedeutendsten Historiker und Geschichtsdenker Deutschlands im Zwanzigsten Jahrhundert. Im Landt Verlag erschienen seine Bücher:


Ernst Nolte: Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus

Seit seinen geschichtswissenschaftlichen Anfängen in den frühen sechziger Jahren hat sich Ernst Nolte stets für das Verwirrende der Geschichte und für die jeweils »andere Seite« der großen ideologisch-politischen Bewegungen interessiert. So auch in diesem Werk, in dem er – auf eine zunächst sehr überraschende Weise – den Islamismus, der im Westen fast durchweg als »Widerstandsbewegung gegen die Moderne« gekennzeichnet wird, neben den Nationalsozialismus Hitlers und neben den Bolschewismus Lenins stellt.

Ernst Nolte: Italienische Schriften

Die Zukunft der geistigen Gestalt Europas im Zeitalter des »Liberismus« werden von Ernst Nolte ebenso behandelt wie die wandelbaren Formen der »Historischen Existentialien«. Hinzu kommen Aufsätze, die Aspekte seines letzten großen Buches über den Islamismus (2009) vertiefen. Den Abschluss bildet die »Intellektuelle Autobiographie«, in der Nolte erstmals in geschlossener Form seinen Lebensweg schildert. 

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