Zur Causa Steimle

von Sebastian Hennig vom 16. Dezember 2019.

Gegenwärtig, vielleicht vorerst nur, wird hierzulande niemand mehr öffentlich verbrannt, verprügelt oder gehängt. Er wird stattdessen langsam abgeschnürt, bis die Lebensfunktionen soweit vertrocknet sind, daß er wie welkes Laub im Herbst von selbst zu Boden fällt. Das wird dann als ein Naturereignis wahrgenommen, das sich ganz ohne das Einwirken von Richter, Schergen und Scharfrichter vollzieht. Alle ziehen sich dann zurück vom Fäulnisgeruch des langsam verendenden Abweichlers.

Lebensgeschichten sind mir persönlich bekannt, wo in der DDR der achtziger Jahre wegen abgelehnter Zuarbeit als Spitzel unausgesprochene Berufsverbote wirksam waren. Solche Personen, die nur noch als Pampel in kirchlichen Heimen eine Anstellung fanden, konnten ohne Kompromisse gemacht zu haben fünf Jahre später bereits wieder in der kommunalen Verwaltung einer Großstadt maßgeblich mitgestalten. (Es gab freilich auch Zeiten, in denen sie zum Dissidenten veredelt und in den Westen verkauft wurden.) Der Unterschied zwischen einem Unrechtsregime und einem Rechtsstaat besteht offenbar darin, daß jener zuletzt auf eine Exzellenz im Beruf nicht verzichten kann. Das dieser sich das leisten zu können glaubt spricht dafür, daß er auf deutlich mehr Rücklagen vertrauen kann als der marode SED-Staat, der über die Jahrzehnte seiner Existenz immer geschüttelt war von den Folgen anhaltender materieller und personeller Ausplünderung aus Ost und West.

Die oben geschilderte Garotte gehört heute zur Berufsbekleidung als jederzeit zu betätigende Sollbruchstelle am sozialen Lebensfaden. Zelebritäten, denen sie an den Hals gesetzt wurde, haben oft noch die eine oder andere Sauerstoffflasche unterm Sitz und tragen einen Stahlkragen, der verhindert, daß ihnen der Kehlkopf zu rasch eingedrückt wird. Während viele Fußgänger längst von den Panzern der politischen Korrektheit überrollt sind, verfügt Uwe Steimles Wartburg 312 über eine vergleichsweise komfortable Knautschzone. Doch gerade wegen seiner Exponiertheit ist der Fall bemerkenswert. Denn wo der Delinquent rückstandslos entsorgt wird, gibt es auch nichts mehr zu besichtigen.

Die Geschichte der Einstellung der beliebten, ebenso liebenswürdigen wie gescheiten Sendung „Steimles Welt“ begann sicherlich schon 2013 bei ihrer ersten Ausstrahlung. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist insoweit pluralistisch, daß er Redakteure und Verwalter beschäftigt, die einerseits realistisch in Uwe Steimle eine Antwort auf eine tatsächlich vorhandene Empfindung erkennen mögen und wiederum andere, die ihn in ihrer Verblendung als den Initiator ebendieses für sie nicht nachvollziehbaren Gefühls der Zurücksetzung ansehen. Letzteren wird die Etablierung einer solchen Instanz, einer Marke Steimle in der Marke MDR, im höchsten Maße bedenklich erschienen sein. Aber auch unter den ersteren werden nicht alle unbedingt den Inhalt wertgeschätzt haben. Aber sie haben freilich erkannt, daß damit eine bedrohliche Spannung abgeleitet wird.

Instinktiv arbeiten die Anstalten bei der Sedierung des von ihnen verachteten Konsumentenpöbels nach dem Prinzip guter Bulle und böser Bulle. Erst setzt es Schläge, dann bekommt man etwas zu rauchen angeboten. Inzwischen werden die Leute aber als so renitent angesehen, daß es nur noch Schläge in die Gusche gibt ohne eine Zigarette danach. Im Klartext: Bereits terminierte Sendungen von „Steimles Welt“ kommen nicht mehr zu Ausstrahlung und Gerüchte drohen, daß anstatt des bisherigen vierteljährigen Verbandswechsels nun ein norddeutscher Pinscher regelmäßig in diese Wunde pissen soll.

Wir haben zu lange an Uwe Steimles DDR-Folklore gelitten um uns jetzt einreden zu lassen, er sei ein völkischer oder neurechter Agitator. Tief sinkend, erhielten die Gebührenzahler in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zusammenbruch, frei nach dem Kästner-Spruch, den Kakao, durch den sie gezogen wurden, auch noch zu trinken. Zwei Büchnerpreisträger mit nachweisbarer Äquidistanz zu den zwei deutschen Staaten (In Österreich gibt es noch einen dritten, was gern vergessen wird!) haben dieses Dilemma thematisiert. Der seit 2017 wieder schweigende Reinhard Jirgl hat in seinem Essayband „Land und Beute“ (2008) auf die desintegrierende Agenda der Super-Illu und MDR per retrospektiver DDR-Identität hingewiesen. Der 2007 verstorbene Wolfgang Hilbig hat in seiner Kamenzer Rede von 1997 die gegenwärtigen Umstände antizipiert: „Vielleicht wird uns eines Tages die Erkenntnis kommen, daß erst jener Beitritt zur Bundesrepublik uns zu DDR-Bürgern hat werden lassen, die wir nie gewesen sind, jedenfalls nicht, solange wir dazu gezwungen waren. Das hieße praktisch, daß wir uns auf unser kritisches Bewusstsein besinnen, auf das jahrelang geübte unabhängige Denken, zu dem wir gezwungen waren, auf unsere Eigenheiten, und auf unsere Fähigkeiten zum Widerstand.“

Was ereignete sich nicht alles in den zurückliegenden sechs Sendejahren von „Steimles Welt“?

Als die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung im Dezember 2014 in das Haus der Kathedrale zur ersten Aussprache über die Pegida-Spaziergänge in Dresden einlud, sollte neben Peter Porsch von den Linken, Eva-Maria Stange von den Spezialdemokraten und Werner Patzelt von der CDU sozusagen als Volkes Stimme auch Uwe Steimle auf dem Podium sitzen. Der war klug genug abzusagen. Am 30. Mai 2016 trat Lutz Bachmann in einem nachgedruckten Leibchen von Uwe Steimle auf, dem er den Aufdruck „Mir san Mir“ bzw „Мир Сан Мир“ um dem Zusatz „unantastbar“ ergänzt hat, weil dieser in sinniger Konkretion des blutleeren Artikel 1 des Grundgesetzes während einer Sendung am 8. Mai gesagt hätte „Wer für Frieden und Heimat ist, der ist unantastbar.“. Bachmann ruft in die Menge: „Uwe oder Herr Steimle, das ist ihr Beifall!“ Worauf über den Altmarkt aus tausenden Kehlen „Uwe, Uwe!“ erschallt. Der hätte nun pflichtschuldig am nächsten Tag mit betroffener Miene abrücken müssen. Was er ebenso unterlassen hat, wie einen Auftritt am großen mit Steuermitteln organisierten Showdown um die meisten Teilnehmerzahlen am 10. Januar 2015. Er hat sich nicht eingereiht in die Nebelhörner und Totentrompeten vom Schlage Gröhlemeier und Lendenzwerg. Diese Unterlassung hat ihm in Dresden mehr Herzen zufliegen lassen als es jede Wortergreifung zugunsten der Geschmähten vermocht hätte.

Als eine große Zeitung im März 2018 über die Gemeinsame Erklärung berichtet, war über den Text ein Mosaik mit schwarzweißen Fotos der bekanntesten Erstunterzeichner gestellt. Recht fremd wirkte das verschmitzte Gesicht des linken DDR-Nostalgikers Uwe Steimle neben denen von Matthias Matussek, Henryk Broder und Thilo Sarrazin. Er zog seine Unterschrift wieder zurück. Kurz vorher hatte ihm die Evangelische Friedensdekade zum Schirmherrn gebeten um ihm nach wenigen Tagen diesen Schirm unsanft wieder abzunehmen, weil er sich in einem Hemd des Compact-Magazins gezeigt hatte. Nicht die Losung „Ami go home“ sondern die Herkunft der Obertrikotage wurde moniert. Torsten Küllig, der Landesvorstand des Vereins “Mehr Demokratie“, startete daraufhin eine Petition. Sein klärendes Gespräch mit den Vertretern der Friedensdekade fiel zusammen mit den US-Raketenangriffen auf Damaskus und Homs. Daß diese Funktionäre mehr Energie darauf verwandten einen von ihnen zunächst erwünschten Unterstützer wieder abzuschütteln als sich ihrer eigentlichen Aufgabe zuzuwenden, klärt vieles. Im August 2018 hat Uwe Steimle eine Öffentlichkeit dafür hergestellt, daß der Sender eine Absetzung seiner erfolgreichen Sendung in Erwägung zieht. Dort war man natürlich bemüht diesen Anschein zu vermeiden. Eine Dehnung der Zeiträume zwischen den einzelnen Sendungen sollte die Zuschauer langsam von der gefährlichen Droge entwöhnen. Als sich im Oktober die Einstellung der Sendung durch langsame Austrocknung deutlich abzuzeichnen begann, wurde abermals eine Petition gestartet, die ebenso rasch viele Zeichner fand. Dem Sender war das so heikel, daß er nicht das Ende der Zeichnungsfrist abwartete und schon nach vierzehn Tagen eine Verständigung suchte. Die Parlamentäre trafen sich und vereinbarten einen Burgfrieden. Es heißt auch Steimle habe sich dabei verpflichtet ein Jahr lang keine Interviews zu geben. Im Juni hatte er gegenüber der Jungen Freiheit die gegenwärtige BRD als „Besatzungsgebiet der USA“ bezeichnet.

Während allein auf den Nachdenkseiten Uwe Steimle von links Unterstützung erhält in einer gescheiten Analyse von Tobias Riegel, kritisieren die tageszeitung und das Neue Deutschland, daß die Sendung nicht wegen seiner politischen („völkischen“) Äußerungen sondern nur wegen seiner mangelnden Loyalität gegenüber dem MDR eingestellt wird. Tatsächlich verhält sich der mittelschwere Rundfunk als ein Sensibelchen. Er reagiert wie der cholerische Koch, der nachdem er von hinten einen herzhaften Klaps auf den Podex bekommen hat, anstatt zurückzulangen gleich mit dem schweren Messer auf den Angreifer eindringt.

Im Sommer wurde wiederum die textile Aufschrift „Kraft durch Freunde“ zum Skandal hochgespielt. Der Sender antwortete darauf „Uwe Steimle ist Kabarettist und Satiriker. In den Sendungen, die der MDR mit ihm als freiem Mitarbeiter produziert, achten wir darauf, dass seine Satire auch als solche erkennbar ist.“ Dazu fällt einem wirklich nichts weiter ein als: „Hey Leute, SS-kaliert langsam mit den Naziwitzen, es war ja mal lustig, so langsam Reichsadler! Wieso können wir die Vergangenheit nicht Hitler uns lassen?“ Wir leben in Zeiten, in denen Anis Mohamed Ferchichi gerichtlich klären läßt, daß seine Gattin nicht von einer kompletten Fußballmannschaftbeschlafen wurde. Wir leben nicht mehr in den pluralistischen Zeiten einer Monarchie, als ein Maximilian Harden mit seiner privaten Wochenschrift Die Zukunft den Thron des Deutschen Reiches wanken machen konnte. Damit unsere Unerschütterlichen nicht zittern müssen (angeblich um die Demokratie), haben wir einen Rundfunk, der jede zugestandene Meinungsäußerung aufgrund seines Verbreitungs- und Ausstattungsmonopols ebenso wirksam übertönt wie es die Störsender der DDR mit den Aussendungen der Weststationen machten. Der Autor gesteht ein, sich gelegentlich, wie Diogenes mit der Laterne auf dem Markt, in den sozialen Netzwerken auf Menschensuche zu begeben. Auf die hämische Feststellung eines gleichwohl verdienten Heimatschützers, Kunsthändlers und Hoteliers: „Steimle kann doch Fiesta Mexicana in Altenheimen singen“ replizierte er: „Das macht er heute schon ganz hervorragend, weil ihm nämlich etwas eignet was den praeceptori germaniae vom Schlage des N. N. abgeht: eine Zärtlichkeit auch gegenüber schlichten Gemütern.“

Wie sich Uwe Steimle in den letzten Jahren von der Honecker-Sirene zu einem feinsinnigen Zuhörer entwickelt hat, läßt sich anhand der letzten Sendung von „Steimles Welt“ vom November erkennen. Er besucht die Frauen und Männer, die in den achtziger Jahren in der Ukraine an der Erdgastrasse Druschba gearbeitet haben. Ergreifender Höhepunkt der Sendung ist das Gespräch mit dem einstigen Kraftkranfahrer Michael Samel aus Herreden bei Nordhausen. Der hat einen russischen Koloß, dem Mobilkran K-162, Baujahr 1966, geführt. Und heute? „Nach der Wende, die Betriebe gab´s ja nicht mehr auch meinen Betrieb gab´s nicht mehr.“ Mit beinahe tänzerischen Bewegungen erklärt der massige Mann seine behutsame Tätigkeit in einer Einrichtung der Kinder-und Jugendhilfe.

Ein kluger Beitrag auf Nachdenkseiten

Die letzte Sendung von „Steimles Welt“

„Wir sind Steimles Welt“, eine wichtige Petition

Das Gemälde von Uwe Steimle stammt von Uwe Pfeifer.

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