Freie Wahlen als Bedrohung.

von Felix Menzel vom 14. Mai 2020.

Rund um den 8. Mai sorgte in Berlin ein landeseigenes Kulturunternehmen für Aufsehen. Die „Kulturprojekte Berlin GmbH“ zeigte anläßlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes den zerbombten Reichstag, die Zerstörungen rund um das Brandenburger Tor und den Alexanderplatz. Kombiniert wurden diese schrecklichen Bilder aus dem Jahr 1945 mit den provokanten Slogans „Am Anfang war die Wahl“, „Eine Wahl und ihr Ergebnis“ sowie der suggestiven Frage „Willst du, was du wählst?“.

Für diejenigen, die nicht sofort die Intention der Kampagne begreifen, lieferten die „Kulturprojekte“ vorab eine Erklärung dazu: Die Plakate sollten „verdeutlichen, dass demokratische Wahlen den Weg in die Diktatur des Nationalsozialismus geebnet haben und es in der Verantwortung aller liegt, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.“

Für diese bekannte Volksbelehrung zahlen wir also Steuergelder. Soweit nichts Neues! Interessant daran ist weniger, wie penetrant den Deutschen anscheinend immer noch dieses „Nie wieder!“ in die Köpfe gehämmert werden muß. Interessant ist die Verknüpfung von Demokratie und rechter Diktatur.

Es wird der Anschein erweckt, daß populistische Hetze, die nach Ansicht der Initiatoren wohl derzeit einzig von der AfD ausgehen dürfte, ausschließlich eine Wiedergeburt des Dritten Reichs verursachen könnte. Überhaupt nicht in Erwägung gezogen wird indes die Gefahr einer linken Diktatur nach einer Welle des Linkspopulismus. Der antitotalitäre Grundkonsens wird damit bewußt zugunsten der Ideologie des in seinen Methoden selbst totalitären Antifaschismus zurückgedrängt.

Dennoch ist die Botschaft der Kampagne ja in gewisser Hinsicht sogar richtig. Jede Demokratie ist auf Sand gebaut, weil sich die öffentliche Meinung ständig ändert. Das heißt: Extreme Ausnahmesituationen (Wirtschaftskrisen, Pandemien, Terroranschläge …) bringen extreme Launen des Volkes hervor. Das kann freilich in verschiedene Richtungen ausarten.

Eine Wiederholung der Geschichte dürfte dabei vermutlich sogar das unwahrscheinlichste Szenario sein. Denn: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein, er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.“ (Ignazio Silone) Aufgepaßt also bei jeder Sprachkontrolle! Aufgepaßt bei Themen wie der Impfpflicht, die eine Gesundheitsdiktatur wie von Juli Zeh in ihrem Roman Corpus Delicti beschrieben, einläuten könnte! Und aufgepaßt auch bei der schrittweisen Ausdehnung des Staates zur angeblich notwendigen Umverteilung, denn jeder Groschen, über dessen Verwendung wir nicht mehr selbst bestimmen dürfen, bedeutet weniger Freiheit.

Damit sind wir beim ausschlaggebenden Kriterium angelangt, warum Demokratien anfällig für totalitäre Eskapaden sind. Jede Demokratie setzt eine Erziehung zur Mündigkeit voraus. Zum einen beißt sich das aber mit den natürlichen Tendenzen jeder Massengesellschaft, in der die Emotionen bisher immer die Oberhand gewannen. Zum anderen kommt der gesunde Menschenverstand an seine Grenzen, sobald er vor Sachverhalten steht, die sich nicht mehr überblicken lassen.

Ich kann als einfacher Bürger beurteilen, ob eine weitere Brücke in meinem Landkreis nötig ist. Denn wenn das so ist, dürfte ich dort häufig im Stau stehen. Als viel schwieriger erweist sich hingegen die Frage, wie viele Schulden sich ein 80-Millionen-Volk in einer bestimmten historischen Situation erlauben kann. Noch komplexer wird das, wenn wir zusätzlich zur Entscheidung über die Schuldenaufnahme einschätzen müssen, wo es im Staatshaushalt Einsparpotentiale gibt.

An dieser Komplexität scheitert die Demokratie. Denn aus Erfolgsgründen neigen Charismatiker ebenso wie gesinnungsethische Bürokraten dazu, dem Volk irgendwelche Geschenke zu versprechen, auch wenn diese nicht finanzierbar sind bzw. genauer: nur durch eine langfristige Enteignung des Volkes aufgefangen werden können.

Diese langfristige Perspektive geht in einer Demokratie zuverlässig unter. Hans Hermann Hoppe hat das in seinem Werk Demokratie. Der Gott, der keiner ist grandios herausgearbeitet. Sein Buch ist ein Meilenstein der Demokratiekritik, weil es sich neben bekannten Problemen der Demokratie wie der negativen Auslese durch Parteien insbesondere der Zeitpräferenz zuwendet. Ein Monarch müsse stets langfristig denken, damit seine Untertanen nicht irgendwann auf die Barrikaden klettern und eine Revolution anzetteln. Demokraten dagegen interessiert in den meisten Fällen aus Egoismus nur die nächste Wahl und da kann man mit ungedeckten Schecks, vollmundigen Versprechungen und emotionaler Manipulation am meisten erreichen.

(Bild: Immanuel Kant, gemeinfrei)


Hans Hermann Hoppe: Demokratie. Der Gott, der keiner ist.

Dieses Buch ist frenetisch bejubelt und donnernd verdammt worden: Es ist eine fulminante Kritik an Idee und Praxis der westlichen (Medien-)Demokratien, denen Hoppe vorwirft, unter der Fahne der Freiheit die Unfreiheit zu organisieren und die Gegenwart aus der Zukunft zu subventionieren. Hoppe kommt aus dem Umfeld der amerikanischen „libertarians“, die man sich hierzulande gern als „anarcho-kapitalistisch“ erklärt. Aber: Seine Demokratie- und Staatskritik atmet kulturkonservativen Geist, und die staatlich betriebene kulturelle Deregulierung erscheint ihm eher als organisierte Dekadenz. Der Beifall hiesiger Staatskritiker, die ja ein recht buntes Völkchen in „anarcho-sozialistischen“ und „anarcho-kapitalistischen“ Farben bilden, ebbt an dieser Stelle recht schnell ab.Hoppes Sympathie für den Turbokapitalismus ist ebenfalls recht gering, welcher ihm als eine Folge staatlich veranlaßter Fehlallokationen erscheint. Stattdessen setzt er auf eine „natürliche Ordnung“, die sich immer dann ergäbe, wenn sich die assoziative Kraft der Menschen frei und unüberwältigt durch staatliche Machtursupation organisch entfalten könne.

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