Der Islam, die USA und der deutsche Sonderweg

von Felix Menzel vom 20. September 2019.

Die Szene der Islamkritiker in Deutschland gibt sich betont amerikafreundlich. Nach den schrecklichen Ereignissen vom 11. September 2001 und etlichen islamistischen Terroranschlägen in den Jahren darauf in Europa war es natürlich naheliegend, nach einem großen Verbündeten Ausschau zu halten.

Die USA drängten sich hier von Vornherein auf. Schließlich rief der ehemalige Präsident George W. Bush sehr beherzt einen „Krieg gegen den Terror“ aus. Hinzu kommt, daß die westeuropäischen Staaten mit ihrer Nibelungentreue gegenüber den USA seit Ende des Zweiten Weltkrieges – objektiv betrachtet – gut gefahren sind. Der Globalkapitalismus amerikanischer Prägung siegte über alle Versuche, die Wirtschaft staatlich zu ordnen, und brachte zugleich allem Anschein nach eine Friedensordnung hervor, die manche als das glückliche Ende der Geschichte interpretierten.

Das Problem bei dieser zunächst einmal verständlichen Wahrnehmung des Weltgeschehens ist allerdings, daß sie unterkomplex ist. Plastischer ausgedrückt: Auf dem geopolitischen Schachbrett stehen mehr Figuren. Der Fehler des europäischen Spielers besteht darin, sie mitsamt ihren Intentionen zu übersehen, weil der Blick nur auf die amerikanische Dame, die überall intervenieren kann, gerichtet ist.

Wer nun begreifen will, wie die Kräfteverhältnisse wirklich sind, sollte unbedingt den Essay über „Das große Spiel“ von Günter Buchholz in der Herbst-Ausgabe der TUMULT lesen. Der Ökonom weist nach, daß der amerikanische „Krieg gegen den Terror“ ein zurückhaltendes Manöver war, da die Dschihadisten in Saudi-Arabien verschont wurden. Warum wohl, ist die entscheidende Frage.

Nach dem Vietnamkrieg „sahen sich die USA zu einem engen Bündnis mit Saudi-Arabien gezwungen“, doziert Buchholz. „Es wirkte sich unter anderem darin aus, daß das Erdöl, die energetische Basis der modernen Industrie, nun ausschließlich in US-Dollar gehandelt wurde. Der US-Dollar behielt so seine Geltung als Weltgeld“, die er ansonsten hätte verlieren können, ist sich Buchholz sicher. Eine Schlüsselrolle nahm zudem Frankreich ein, das mit dem Konzept „Eurabia“ den eigenen Führungsanspruch in der Mittelmeerregion untermauern wollte.

Diese beiden geopolitischen Verbindungslinien seien die Türöffner der Islamisierung Europas. Der Verlust der Selbstbehauptung auf europäischer Seite und die Beharrungskraft der muslimischen Migranten, wie sie Peter J. Brenner anschaulich beschrieben hat, kommen erschwerend hinzu. Buchholz sieht jedoch auch für die USA und Teile Asiens schwarz, da der Versuch, die muslimische Einwanderung zu bremsen, gescheitert sei. „So gesehen ist der Islam dem Ziel eines weltweiten Kalifats bereits erstaunlich nahegekommen“, warnt er eindringlich.

Ist das übertrieben? Um dies einschätzen zu können, verfolge man einfach einmal die Debatte um die Luftangriffe auf zwei saudi-arabische Ölanlagen und rufe sich in Erinnerung, was Michel Houellebecq in seinem Roman Unterwerfung skizzierte. Er multiplizierte die Faktoren „Eurabia“ und muslimische Geburtendynamik. Das Ergebnis war eine Dystopie, die uns hoffentlich erspart bleibt.

Nach der Überzeugung von Buchholz ließe sie sich aber nur abwenden, wenn es zu einer geopolitischen Kehrtwende Europas kommt: „Die europäische Politik steht vor der heiklen Aufgabe, sich vom US-saudischen Doppelsystem zumindest so weit zu emanzipieren, daß sie ihr Verhältnis zu Rußland und China nach eigenen Interessen gestalten könnte. Dann könnte ein Großer Eurasischer Bogen mit einem tragfähigen ökonomischen Fundament entstehen.“

Es gibt noch zwei andere Szenarien, die man zumindest theoretisch einmal durchdenken sollte: Zum einen könnten die USA die Vor- und Nachteile des Bündnisses mit Saudi-Arabien eines Tages neu bewerten. Trumps „America first“ könnte dafür sogar schon ein erster Schritt sein.

Zum anderen ist die weltpolitische Rolle Deutschlands hochinteressant. Die außenpolitische Impotenz Deutschlands wird konterkariert vom technologischen Größenwahn in der Energiepolitik. Sollte dieser Sonderweg zu einer „klimaneutralen“ Wirtschaft wider Erwarten durch wissenschaftliche Sensationen erfolgreich sein, könnten wir relativ unabhängig von den Großmächten agieren.

Arbeitet Merkel insgeheim genau darauf hin? Sicher nicht, aber dieses Gedankenexperiment illustriert, welche unvorhersehbaren Wendungen die Weltpolitik nehmen kann.

(Bild: Mekka, Pixabay)


Frank Böckelmann: TUMULT – Herbst 2019

TUMULT präsentiert in dieser Ausgabe 18 Bilder des 1938 in Bad Reichenhall geborenen Malers, Architekten und Bühnenbildners Ludwig Valentin Angerer, genannt „der Ältere“. Angerers Bilder sind ungeheuerlich – Ergebnisse eines Zusammenwirkens von virtuos beherrschter, wahrhaft altmeisterlicher Lasurtechnik, unangefochtener Treue zum christlich-abendländischen Erbe und der Schubkraft gereifter Kindlichkeit. Wer dies noch fassen kann, nennt es „magischen Realismus“ oder „Tradition des italienischen Manierismus“, in der Nachfolge von Bronzino und Cambiaso, der Nachbarschaft von Ernst Fuchs und Friedrich Hechelmann – zutreffend und doch hilflos. Aber seien wir froh, wenigstens diese Etiketten zu haben.

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