Kleine reaktionäre Westernkunde (2)

Redaktioneller Beitrag vom 22. April 2020.

Regionale Typen bei Sam Peckinpah

Einer der großen neurechten Stimmungsbegriffe ist das „Eigentliche“ oder auch „unser Eigentliches“. Er deutet auf eine oder mehrere Eigenschaften, die Sie und ich als Angehörige einer Abstammungsgemeinschaft, vorzüglich eines Landes und einer Nation, miteinander teilen. Eigenschaften, die uns in Mark und Seele eingeschrieben sind und die uns auf letztlich kreatürliche Weise von den Angehörigen anderer Länder, Nationen, aber auch Regionen und Familien (die kleinste und innigste Einheit) unterscheiden.

Selten jedoch wird im Einzelnen über diese Eigenschaften gesprochen und zu bestimmen versucht, worin sie denn bestehen. Das mag daran liegen, daß man sich scheut, im bloß Punktuellen, Biographischen, nicht Verallgemeinerbaren hängen zu bleiben. Oder auf eigene Faust eine Wertung abzugeben, die selbst unter Gleichgesinnten nicht schon hinterlegt ist. Entsprechend wird das offene Wort über jenes „Eigentliche“, wo es regionale Idiosynkrasien betrifft, das Gefälle zwischen diesem und jenem Nachbardorf, gern erst ab dem zweiten Bier in vertrauter Runde gepflegt.

Anders gesagt: das „Eigentliche“ wird gerne klangvoll evoziert, doch selten beschreibend angepackt, gedeutet, auf physiognomische Punkte gebracht.

In Amerika war es lange der dortige Heimatfilm, der Western, der solche Eigenschaften immer wieder auf vorbehaltlose, das heißt nicht-selbstzensierende Weise in den Blick rückte, als topographischer Hintergrund der Geschichten, die er erzählte.

Sam Peckinpahs Pat Garrett and Billy the Kid von 1973 ist ein später Vertreter des Genres, das seine Blütezeit in den ersten sechzig Jahren der Kino- (und nicht Fernseh-) Geschichte hatte, man kann auch sagen, zwischen The Great Train Robbery (Edwin S. Porter, 1903) und The Man Who Shot Liberty Valance (John Ford, 1962). Danach, als sei ein Schalter der Zivilisationszeit umgelegt worden, bezogen sich Western immer weniger auf die Vergangenheit ihrer Geschichten, ihrer Landestriche und regionalen Typen, sondern die Vergangenheit des eigenen Gernes und wurden zunehmend selbstreferentiell. Einen Weg „zurück“ hat es nie gegeben.

Sam Peckinpah (1925-1984) ist ein Vertreter dieser Spätzeit und hat als „Erfinder“ der blutigen Erschießung in Zeitlupe, wofür er heute am ehesten noch erinnert wird, eine fragwürdige und vulgäre Tradition begründet. Gleichwohl steckt in seinem Werk ein innig persönlicher Bezug zu den landschaftlichen Prägungen, ja Schicksalen, denen seine besten, weil glaubwürdigsten Figuren unterworfen sind und die sie geradezu „ausmachen“, bis ins Sterben hinein. In Pat Garrett and Billy the Kid gibt es zu dieser Verwobenheit eine großartige kurze Szene:

Sheriff Garrett (James Coburn) sitzt an einem Fluß, an einen Baum gelehnt, die Stille des Abends liegt um ihn herum. Plötzlich knallt ein Schuß. Garrett blickt auf und sieht: von einem Floß aus, das langsam das Wasser heruntertreibt, schießt ein Fremder auf eine leere Flasche, die er verfehlt. Garrett wundert sich, erhebt sich, greift seinen Revolver und schießt seinerseits auf die Flasche, verfehlt ebenfalls. Nun sehen wir den anderen, neben ihm auf dem Floß stehen drei Kinder, wohl die seinen, er blickt verdutzt in die Richtung, aus der der Schuß gekommen ist. Dorthin legt er an und feuert aufs Geratewohl. Garrett, an dem der Schuß vorbeigeht, lacht nun und geht hinter dem Baum in Deckung. Er setzt sein Gewehr auf den Fremden an und – zögert. Auch der Fremde auf dem Floß legt an und – zögert. Beide Männer schauen in die Richtung des jeweils anderen. Nichts, rein gar nichts passiert. Das Floß fließt weiter. Beide Männer nehmen langsam die Flinten herunter. Sie haben sich nie gekannt und werden sich auch nie wiedersehen. Fast hätten sie einander erschossen, aus einer archaischen Laune heraus. Aber eben doch nicht. Ende der Szene.

Und so etwas meine ich und meint, wie ich denke, auch Peckinpah und der Film, wenn es um die Herausschälung eines regionalen Charakters geht. Und zwar, indem er sich dessen meinethalben irrationales Verhalten in einer konkreten Situation anschaut, mit leiser Würde, ohne es psychologisch aufzudröseln. Eher schon wie ein Felsmassiv, das unversehens vor ihm auftaucht. SO UND NICHT ANDERS, sagt der Film, TICKEN DIE MÄNNER IN DIESEM LANDSTRICH. Es ist wie eine bloße, affirmative Konstatierung. Daß die Szene im Gefüge des gesamten Films kaum auffällt, macht sie umso echter, bringt das „Eigentliche“ umso selbstverständlicher nach vorn, ins Halb- oder Unbewußte des Zuschauers.

In einer Dokumentation über den Regisseur erzählen James Coburn und Kris Kristofferson (Billy the Kid), wie die kleine Szene praktisch aus dem Nichts entstand, heimlich gefilmt wurde, nachdem ein Drehtag schon zuende war, und doch das eigentliche Herz der Typen des Films ausmacht: „It said everything about the mindset (die Mentalität) of these people at that time“. Und man höre hin, WIE die beiden Schauspieler noch Jahrzehnte später über diese anderthalb Filmminuten sprechen. Es ging darin um das Eingemachte, und das bleibt und strahlt weiter aus. Aber es existiert nur im physischen Detail, im Handlungsvollzug. Was im Abstraken, bloß Gemeinten verbleibt, das haben auch die besten Spätwestern nie vergessen, beißt lange vorher ins Gras.

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