von Felix Menzel vom 14. Juni 2019.
Laut Zahlen des deutschen Innenministeriums gehen 90 Prozent der antisemtischen Straftaten auf das Konto von Rechtsextremisten. Obwohl unklar ist, wie unsere Sicherheitsbehörden zu dieser Erkenntnis gelangt sind, kommentierte die Öffentlichkeit die 90 Prozent sofort übereifrig.
Die Welt sprach von einem „alarmierenden Trend“. BKA-Chef Holger Münch fand, wir müßten jetzt alle „sehr, sehr wachsam“ sein und Innenminister Horst Seehofer (CSU) sparte ebenfalls nicht mit Superlativen. Das „ganz, ganz massive“ Problem“ müßten wir „verdammt ernst“ nehmen.
Interessant ist die rituelle Empörung in diesem Fall vor allem, da andere Studien zu signifikant abweichenden Ergebnissen kamen. Einer Umfrage der EU-Grundrechteagentur zufolge dürften 41 Prozent der Täter antisemtischer Vorfälle in Deutschland „extremistische Muslime“ sein. Die Betroffenen dieser Vorfälle schätzten nur 20 Prozent der Angreifer als Rechtsextremisten ein und weitere 16 Prozent als Linksextremisten.
Eine Untersuchung des Unabhängigen Arbeitskreises Antisemitismus ergab sogar, daß 80 Prozent der körperlich angegriffenen Juden meinten, der Täter habe „einen mutmaßlich muslimischen Hintergrund“. Was denn nun wirklich stimmt, scheint man auch im Innenministerium nicht endgültig zu wissen. Denn im April 2018 sinnierte man noch populistisch darüber, Migranten das Bleiberecht zu entziehen, sollten sie mit antisemitisch motivierten Gewalttaten auffallen.
Dieser Vorschlag ist freilich absurd, suggeriert er doch eine Klassifizierung in Opfer erster und zweiter Klasse. Ein judenfeindlicher Messerstecher soll abgeschoben werden, aber ein deutschenfeindlicher darf bleiben? Hier scheinen einige Politiker den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz nicht zu Ende gedacht zu haben – vermutlich, weil sie dachten, Forderungen des Zentralrats der Juden seien per se richtig.
Eins zeigt dieses Beispiel: Die Kriminologie ist eine wissenschaftliche Disziplin, die besonders anfällig ist für politische Instrumentalisierungen und voreilige Schlüsse. Wer den nebulösen „Kampf gegen rechts“ intensivieren will, wird dafür genauso Beweismaterial finden wie jemand, der den Versuch unternehmen möchte, die Antifa zu verbieten, oder jemand, der Ausländerkriminalität als das wichtigste Problem identifiziert hat.
Die Gefahr ist deshalb groß, daß sich diejenigen mit ihren Maßnahmenpaketen durchsetzen, die mediale Hysterien am geschicktesten nutzen. Wie dies läuft und welche fatalen Auswirkungen es für die tatsächliche Sicherheitslage hat, illustriert Werner Sohn im siebten Band der Werkreihe von Tumult anschaulich.
Im Aufsatz „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ widmet er sich dem Rechtsextremismus. In diesem Spektrum neigen hauptsächlich Jugendliche zu Gewalttaten. Nur selten handelt es sich dabei um Einzeltäter. Brenzlig werde es, wenn kleine Cliquen sich zusammenschließen und noch dazu Alkohol eine entscheidende Rolle spielt.
Ausgehend von dieser wertfreien Charakterisierung der typischen Täter lassen sich zügig Handlungsempfehlungen ableiten. Sozialarbeiter müssten Kontakt speziell zu diesen Gruppen herstellen und mit ihnen in den Dialog treten, ohne die jungen Leute zu bevormunden. Seltsamerweise sind jedoch genau solche Projekte Mangelware, da es eine stark ausgeprägte Hemmung gibt, mit Neonazis zu sprechen.
Wie Sand am Meer gibt es hingegen Tischtennisturniere, Fußballspiele und „lesbisches Kaffee-Trinken gegen rechts“, an denen sich ausschließlich die linke Subkultur beteiligt. Die Bundesregierung fördert diese Maßnahmen mit mehr als 100 Millionen Euro jedes Jahr, ohne den Erfolg der Projekte kritisch zu evaluieren. Vielmehr diene absurderweise die Erfolglosigkeit sogar noch als Bestätigung für eine weitere Ausweitung.
Es ist nicht nötig, weiter gegen die politisierte Kriminologie, die derlei Blüten ermöglicht, zu polemisieren. Viel wichtiger an den Ausführungen von Sohn ist, daß er aufzeigt, wie es richtig geht. Seine scharfsinnige Analyse der Ausländerkriminalität etwa dürfte viele Leser verblüffen. Sohn zweifelt am Sinn des Konstrukts „Ausländerkriminalität“. Es sei „von ähnlichem Nutzen wie ‚Frauenkriminalität‘ oder gar ‚Jugendkriminalität‘“, weil es den vietnamesischen Streber mit dem nordafrikanischen Intensivtäter in einen Topf werfe. Mit „volkspädagogischer Sorgfalt“ könne diese Sammelkategorie daher sogar dazu verwendet werden, um das Ausmaß der Bedrohung durch bestimmte Personengruppen zu verharmlosen.
Was ist daher zu tun? Nur eine kriminologische Detailanalyse erlaubt eine zielgerichtete Politikberatung. Ausgerechnet dort, wo es spannend wird, werde jedoch nicht weiter geforscht, meint Sohn an mehreren Stellen entsetzt. Statt sich zum Beispiel über einen Rückgang der Ausländerkriminalität zu freuen, der leider noch auf sich warten läßt, sei es sinnvoller, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen.
Da die Deutschen „weniger in der Wahlkabine als mit dem Möbelwagen“ über die multikulturelle Gesellschaft abstimmen, wäre es ratsam, dieses Ausweichverhalten zu untersuchen. Ob die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) allerdings einen entsprechenden Antrag eines Wissenschaftlers bewilligen würde, ist mehr als ungewiß. Ebenso fallen die Erkenntnisse über die islamische Paralleljustiz, abgesehen von den Schilderungen Joachim Wagners, äußerst spärlich aus.
Diese sind aber notwendig, um mit Sicherheit sagen zu können, ob die registrierte Ausländerkriminalität sinkt, weil sie sich ins Dunkelfeld verschoben hat, oder weil die Menschen zivilisierter werden. Welche Schlußfolgerungen die gutmenschelnde, von Christian Pfeiffer verdorbene Kriminologie daraus zieht, steht indes bereits heute fest. Sie wird dafür plädieren, die Zahl der Bereicherer genauso zu vervielfachen wie die Projekte der Sozial- und Integrationsindustrie.
Werner Sohn: Ausländerkriminalität, Rechtsextremismus, Krawall
Der Band schließt mit einer Würdigung der Kriminologischen Zentralstelle als essentieller Forschungs- und Dokumentationseinrichtung für kriminologische Fragen in Deutschland. Sohn präsentiert eine kleine Kulturgeschichte dieser Einrichtung, die den wechselvollen Einfluss der Disziplin in den Zeitläuften verfolgt und Reminiszenzen festhält, die sonst unwiederbringlich verloren wären.