Von neuem Will‘ und Grille

von Frank Sämmer vom 2. August 2021.

Erinnert ihr euch noch der Mitternachtsreiche vergangener Zeiten und der feinstofflichen Bilder, die wir darum webten? Und wie dort das Volk in besseren Tagen uns als eine sinnvolle Vergesellschaftung aller seiner Begabungen erscheinen wollte und so zum Ausdruck seines Wesens fand? Unsere Gedanken durften noch umherschweifen, etwas vergegenwärtigen und für möglich halten. Dabei fragten wir auch nach der herkömmlichen Klugheit, die schon immer wusste, dass in einer schönen Allegorie guter herrschaftlicher Ordnung und Regierung das Politische immer nur ein Gewerk unter den vielen Begabungen der Gesellschaft sein konnte.
Es hatte dem gemeinschaftlichen Willen zu dienen, und die ihm zugewiesenen Mittel und Verantwortlichkeiten sollten aus guten Gründen nur begrenzter Natur sein.
Denn die eigentlichen Zuständigkeiten gemeinschaftlichen Lebens können nur aus dem Maße des Ganzen geschlossen und verstanden werden. Sie sind nicht ohne Weiteres beschreibbar und im Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Kräfte auch politisch nicht zu fassen.
Darum kann der Politiker selbst keine Inhalte setzen. Er ist partout nicht schöpferisch.
Er ist nur ein bescheidenes Talent, bestenfalls ein treuhändischer Verwalter, Koordinator und Hausmeister von Abläufen.
Aber ein verhängnisvoller Spruch der Schicksalsgöttin ordnete den Lauf der Sterne um, und ihrem harten Muss bequemt seitdem sich neuer Will’ und Grille*.

Jetzt gehen wir schwer im Joch der Unerbittlichen. Kein stärkender Schlaf ist uns mehr gnädig, und mit jedem Aufwachen wächst die Einsamkeit. Es werden wohl keine glänzenden Stunden und auch keine Wunder mehr zu hoffen sein.  
Denn der Traum vom freien Menschen ist verweht.  
Und so sind auch die alten Lebenszusammenhänge zerrissen, die Lust zu leben selbst ist gegenstandslos geworden. Entmündigt, geblendet, ohne Herkunft und ursprüngliche Begründung, frei von Sinn und Verstand ist unser bis dahin unverfügbares menschengeschlechtliches Recht dekonstruiert.

Doch wir müssen kapitale Sachen ohne Drumherum benennen!
Das Politische ist heute in die Verfügung von Räubern und Wegelagerern geraten, Presstrupps der Verantwortungslosigkeit, Profiteure des Zerfalls, die die Leerstellen der alten Ordnung gewaltsam einnehmen und dem eingeborenen Volk seine Daseinsberechtigung abwickeln.
Aufschneider ohne ursprüngliche Begründung, Verwalter toter Sachen.
So prügelt uns eine dekonstruierte Politik zu immer neuen abenteuerlichen Maßnahmen.
Dabei hält die Dummheit Tribunal. Sie spricht für jeden und für alles und errichtet mit abstrakten Hirngespinsten und großen, leeren Worten neue Daseinsapparate von Hohn und Herabsetzung. Und es fehlt jede repräsentative politische Agenda eines identitären Ganzen, weil die zerbrochene Gesellschaft keine gemeinschaftlichen Anforderungen mehr formuliert.

Die Heimat ist schon längstens Ausland, dort herrscht bereits die Fremde.
Denn als Vasallen des atlantischen Imperiums beziehen die politischen Parvenüs ihr Selbstverständnis gewisslich von außerhalb aus den schlichten Direktiven der weltfaschistischen Agenda des großen, globalen Neustarts und seinem neuen Feudalismus.
Aber sie saugen ihre Macht auch aus der Totalisierung eines unwiderstehlichen, axiomatischen  Selbstverständnisses ihrer verordneten Demokratie als siegreiche politische Form im historischen Wettstreit antagonistischer ideologischer Wettbewerber nach dem erklärten Ende der Geschichte.
Als gelehrige politische Führer und unbezweifelbare Gattungsdemokraten haben sie sich vorsorglich von der Welt des Tatsächlichen und unserer Existenz darin abgekoppelt und fortan einen demokratischen Tugendabsolutismus kreiert, der außerhalb von Gegenständlichkeit und Erklärung nicht mehr auf Evidenzen beruht, so wenig wie auf Legitimation durch Wahlen und Rechtstaatlichkeit.
So werden Widerworte politischer Opposition, Kritik an den Herrschenden, alternative gesellschaftliche Wertvorstellungen und die Annahme tradierter kultureller Maßstäblichkeiten in der neuen Fassadendemokratie zum unverschämten und unverständlichen Tabubruch.

Aber wir hatten es schließlich kommen sehen.
Seitdem die Geschichte mit dem Rad der aufgeklärten Menschlichkeit und unabweisbarer Vernunft dahinrollt, hatte das Politische Schritt für Schritt die Verfügung und Kontrolle über alle Gewerke des gesellschaftlichen Lebens übernommen.
Alte Rechte, alte Freiheiten sind seitdem nur noch Konterbande.
So ziehen mit dem historischen Bruch der heiligen Ordnung vor 200 Jahren in den Rauchschwaden politischen Terrors säkularisierter Ideologien bis heute schlimme Mondkälber über die Völker der alten Reiche hinweg.
Und wen soll es wundern? Sie verdunkeln auch heute unseren Himmel, denn der neue demokratische Totalitarismus und sein transhumanistischer Kumpan sind abermals der alte.
Jetzt wollen rote, grüne und schwarze Weltbegradiger den neuen Menschen schaffen.
Ganz auf der Höhe unbezweifelbarer Technik und fantasierter, gekaufter Wissenschaft als digitalisiertes, designtes Computermodell, als machtsolidarisches Nutztier, in der Verfügung und unter Kontrolle des Weltgeldes und seiner neuen eugenischen Maßnahmen globaler Bevölkerungsreduktion und der Auslöschung von Überflüssigen und Abweichlern.
Wir sind verraten und verkauft, mental zersetzt, mundtot und ohne Kraft zur Gegenwehr.
Durch obrigkeitliche Kündigung der Selbstbestimmung des Einzelnen, Enteignung der Sprache durch Propaganda und tägliche suppressive Gehirnwäsche werden mittlerweile lebendiges Selbstdenken als Ausdruck natürlicher, ungebundener Sinnlichkeit, freie Anschauung und Imagination zur egoistischen und gesetzeswidrigen Anmaßung als kranker, aufsässiger, verbotener Wahn degradiert.

Mein Land gewährt mir darum kein Asyl. Als unabhängiger, nicht staatsdienlicher, freier Denker trete ich ein in die Stunde Null.
Wie lange wird sie dauern?

*    J. W. v. Goethe, Zyklus Urworte, Orphisch

Gemälde: Monte Verita von Frank Sämmer, 2011.

Ein Gedanke zu “Von neuem Will‘ und Grille

  1. Ein phantastischer Text, der alte Inhalte in neue Formen gießt wie als würde sich aus den Gräbern der Klassiker eine Stimme erheben, die den Wahnsinn unserer Zeit aus der Perspektive des 18. Jahrhunderts reflektiert. Goethe hätte es nicht besser sagen können.

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