Der Chronist des „Untergangs des Abendlandes“

von Felix Menzel vom 12. April 2019.

Der Literaturkritiker Thomas Steinfeld schrieb bereits im Jahr 2001 über das „Phänomen Houellebecq“: „Er will sein Buch flach, grob und häßlich machen, sodass es sich zum großen Roman verhält wie die schmutzigen Graffiti auf einem Brückenpfeiler an der Autobahn zu den bedeutenden Werken der bildenden Kunst.“

Unter dieser Graffiti-Schicht finden sich jedoch außergewöhnliche Thesenromane, die stellenweise politischen Traktaten gleichen. Dem Lektor Wolfgang Matz zufolge plant Houellebecq diese Kombination aus Trash, Tradition und Provokation minutiös. Seine Bücher seien „alles andere als formlos aufs Papier geschleuderte Wut“, sondern „bewusst geplante, hochartifizielle Romane, in denen das Verhältnis von Erzählung und Theorie, von Gestaltung und Formlosigkeit, von Provokation und Sentimentalität, von Tradition und Tabubruch genau geplant und zur größtmöglichen Wirkung eingesetzt ist“.

Houellebecq skizziere so „die schöne neue Welt einer Menschheit, die sich ihr Menschsein amputieren will – gäbe es da nicht den Phantomschmerz, und gäbe es da nicht eine Literatur, die ihn nicht mildern will, sondern, im Gegenteil, dem Leser noch die letzte Schmerztablette aus der Hand schlägt“.

Ob diese unterstellten Absichten der Realität entsprechen, überließ Michel Houellebecq in den letzten zwanzig Jahren hauptsächlich den Feuilletonisten. Es kommt äußerst selten vor, daß der „Skandalautor“ zu den brisanten Themen seiner Romane öffentlich Stellung bezieht. Würde er dies machen und eindeutige Positionen einnehmen, wäre der Zauber um sein Werk vermutlich auch schnell verflogen.

Weil sich Houellebecq nun so rar macht, ist es regelrecht eine Sensation, daß er am 19. Oktober 2018 in Brüssel den Oswald-Spengler-Preis entgegennahm und noch dazu eine Dankesrede hielt, die geschichtsphilosophisch versucht, an den Autor des „Untergangs des Abendlandes“ anzuschließen. In der Edition Sonderwege ist diese Rede in einer limitierten Auflage von 500 numerierten Exemplaren erschienen. Das Buch enthält darüber hinaus begleitende Beiträge der Professoren Gerd Morgenthaler, Max Otte und David Engels.

Ihnen gelingt es, zwischen Spengler und Houellebecq Verbindungsstränge zu erläutern, ohne das jeweils spezifisch Eigene der Autoren zu vergessen. Morgenthaler interpretiert Houellebecq z.B. zielsicher als einen Schriftsteller, der „weniger an die Geschichte als an das Konstante im Menschen, weniger an die Vernunft als an die Kraft der Liebe und der Religion“ glaube. Dieser Fokus auf die individuelle Ebene sorge dafür, daß er neue Hoffnung geben kann.

Überraschungsmomente im Verlauf der Geschichte sind zwar „unendlich unwahrscheinlich“ (Hannah Arendt). Trotzdem ist gerade ein „Aufschwung aus dem Verfall“ möglich, wenn das Individuum den Niedergang erkennt sowie „Alltäglichkeit und Orgiasmus“ überwinden kann, wie es der tschechische Philosoph Jan Patočka vorzüglich formulierte.

Kraft schöpft Houellebecq etwa aus einer demographischen Anomalie. Seltsamerweise beginnen die Menschen immer dann wieder mehr Kinder zu zeugen, „während man eigentlich überzeugt ist, das Spiel verloren zu haben“. Ähnlich wie Heidegger („Nur noch ein Gott kann uns retten.“) hofft er zudem auf eine religiöse Revitalisierung des Christentums. Es sei nicht ausgeschlossen, daß im letzten Moment Gott Heilige für uns hervorbringe.

Trotz dieser vagen Aussichten bleibt es die Hauptaufgabe von Houellebecq, den „Selbstmord“ der westlichen Welt zu protokollieren, wie er in ungewöhnlicher Offenheit zugibt. Im Gegensatz zu Spengler konzentriere er sich dabei nicht auf Kulturen und Zivilisationen, sondern Individuen, deren Dekadenz und Degeneration viel eindeutiger zu erfassen sei.

Dem belgischen Historiker und Präsident der Spengler-Gesellschaft, David Engels, ist daher vollumfänglich zuzustimmen, wenn er Houellebecq als „Chronist des Untergangs des Abendlandes“ hervorhebt. Ihm sei gewissermaßen die „Quadratur des Kreises“ gelungen, da er ganz im Sinne Spenglers ein Werk geschaffen habe, das einerseits ehrlich ist und andererseits „in vollem Einklang mit seiner tatsächlichen historischen Umwelt steht“.


Michel Houellebecq, David Engels, Gerd Morgenthaler, Max Otte: Michel Houellebecq, Oswald Spengler und der „Untergang des Abendlandes“

In seinen Büchern zeichnet Michel Houellebecq ein ungeschöntes Bild der westlichen Zivilisation, das als Spiegel unserer Zeit auch für kommende Generationen instruktiv sein wird. Zudem zieht sich durch das Werk Houellebecqs eine profunde Kenntnis der Evolutions- und Verhaltensbiologie.

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