Darwinismus

Vom 2. August 2016.

Beim Bier in der Kneipe vertritt P. die These, das politische, folglich auch das geschichtliche Leben werde vom »Recht des Stärkeren« bestimmt. Manch einer mag nun glauben, eine Erkenntnis vernommen zu haben, eine abschließende Antwort auf eine bis dahin offene Frage. Bezogen auf die Zukunft ist die Rede vom »Recht des Stärkeren« aber eine völlig andere These als bezogen auf die Vergangenheit. Die Geschichte ist bekanntlich die Geschichte der Sieger. Auch die Zukunft wird eine Geschichte der Sieger sein. Nun kommt der entscheidende Unterschied: Die Sieger von gestern kennen wir, aber die Sieger von morgen kennen wir nicht.

Das »Recht des Stärkeren« sagt nichts darüber aus, wer eines Tages der Stärkere wird gewesen sein. Wer das »Recht des Stärkeren« ganz ernst nähme, müsste sich selbst zu einem vollkommen interesselosen, unbeteiligten Zuschauer der Ereignisse machen, er müsste eine Position gleichsam über den Dingen einnehmen, die es in diesem Leben nicht gibt und nicht geben kann. Er müsste aus tiefstem Herzen vollendet liberal auf die Gegenwart blicken und jeder Strömung, jeder Partei, jeder Ideologie die gleichen Chancen einräumen, ohne diese Chancen durch irgendeine Vorverurteilung zu schmälern, durch eine Verurteilung, die der Erkenntnis vorgreift, wer am Ende der Stärkere ist. Die Meinung würde zum Doping werden. Das Leben wäre ein einziges Fußballspiel, verfolgt von einer Menschheit, die keinerlei Aktien in eine der Mannschaften haben dürfte. Das »Recht des Stärkeren« kann also nur das Prinzip eines Experiments oder Schauspiels sein, eines Schiffbruchs mit Zuschauer. Als abwartend »ergebnisoffene« Haltung zum realen politischen Leben wäre es – zu schön, um wahr zu sein.

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