Wer darf Neger erwähnen?

von Bernhard Lassahn vom 27. August 2018.

Frage: Was könnte das sein? Mensch mit dunkler Hautfärbung mit fünf Buchstaben, der vorletzte ist ein E, der letzte ein R. Oh weh, wir ahnen es schon: Das Klinikmagazin aus Chemnitz wurde sofort eingestampft. Das Krankenhaus, das im nicht-redaktionellen Teil seines Blattes versehentlich ein Kreuzworträtsel mit eben dieser Frage erschienen ließ, gab bekannt, es sehe „vor dem Hintergrund des moralischen und humanistischen Wertesystems des Klinikums“ den Rückruf des gesamten Heftes als notwendig an. So geschah es Anfang dieses Jahres. Die richtige Lösung war vermutlich nicht etwa „Inder“, sondern „Neger“, und das war falsch.

Im Jahre 1957 – da hat es schon Kreuzworträtsel gegeben, wenn auch noch keine Klinikmagazine – wäre das kein Problem gewesen. Damals durfte man noch solche Fragen stellen. Doch das moralisch-humanistische Wertesystem ändert sich mit der Zeit. Man muss bei politisch umstrittenen Worten genau auf das Datum achten.

Die folgende Meldung stammt aus dem Jahre 2013: Die Presse berichtete über Korrekturen, die an alten Kinderbüchern vorgenommen werden: „Messerwerfer“ statt „Negerlein“, „Seeräuber“ statt „Hottentottenhäuptling“ und „Indianerinnen“ statt „Eskimofrauen“. „Die Kleine Hexe erscheint jetzt politisch korrekt“, meldete der Focus. „In der Neuausgabe von Otfried Preußlers Kinderbuch Die kleine Hexe wird der Begriff „Negerlein“ durch „Messerwerfer“ ersetzt …“

1957 hatte Otfried Preußler vom „Negerlein“ geschrieben, damals kein Problem, 2013 wurde ein „Messerwerfer“ daraus. Er hatte es selbst Ende 2012 vorgeschlagen. Die von seinen Töchtern vorgenommene Textänderung habe er vor seinem Tod noch autorisiert, meldet der Verlag.

Ob das eine gute Idee war? Die Farbe der Haut kann man schon auf Entfernung erkennen. Ob jemand ein Messer bei sich trägt und damit werfen kann, sieht man nicht auf den ersten Blick. Damals, als ich von den nachträglichen Korrekturen hörte, habe ich verwundert und amüsiert den Kopf geschüttelt und habe im vertrauten Kreis Scherze gemacht: Wir haben uns vorgestellt, dass im Kindergärtnerin ein unschuldiges Kind fragt, ob sie noch mal das Lied von den zehn kleinen Messerwerferlein singen dürfen. Inzwischen ist uns das Lachen vergangen. Spätestens seit dem 3. Juli 2018.

Da hatte ein „Flüchtling“, ein „Mann“, ein „Minderjähriger“ aus nichtigem Anlass eine 24jährige Frau niedergestochen und beinahe getötet. Es war der Fall Nummer 1 einer Messerattacke, die von jemandem ausgeht, den man assoziativ mit einem Neger verbindet und mit jemandem, der ein Messer bei sich trägt. Solche Fälle hatte es zwar vorher schon mehrfach gegeben, aber weder sollte man darüber berichten, um keinen Verallgemeinerungen Vorschub zu leisten, noch hatte die Polizei für Taten dieser Art eine Kategorie, in der sie die einordnen und richtig erfassen konnte. Die Gewerkschaft der Polizei hatte daher die Tat zum Anlass für die Forderung genommen, künftig Messerangriffe in die Polizeistatistik aufzunehmen. Das können sie nun. Das Innenministerium hat bekannt gegeben, dass Polizeibeamte künftig auch Messer als Tatwaffe angeben können. Die Messerattacke wurde damit offiziell. Ob der Verlag immer noch meint, dass es eine gute Idee war, „Negerlein“ durch „Messerwerfer“ zu ersetzen?

Man kriegt die Neger sowieso nicht weg. Wenn man einen Ort auslöscht und von der Landkarte entfernt, dann bleibt der alte Name immer noch erhalten. Man müsste auch alle alten Karten vernichten und alle Schilder, die auf den Ort hinweisen. Man müsste ebenso alle Berichte über die Verbannung des Wortes entfernen – auch den Bericht, auf den ich eben verlinkt habe. In der erwähnten Meldung, die eine wesentlich größere Verbreitung hat, als die Neuauflage des Kinderbuches, taucht das Wort „Neger“ immer wieder auf, sogar das Wort „Negerlein“, obwohl man es gerade nicht sagen soll, auch nicht als Zitat.

„In einigen Fällen sind diese Ausdrücke historisch so stark belastet, dass sie nach Möglichkeit nicht einmal zitiert erwähnt werden sollten“, schreibt Anatol Stefanowitsch in seiner bei Duden erschienenen Schrift Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. „In diesen Fällen – und wenn ich mich darauf verlassen kann, dass die Leser/-innen erkennen können, welches Wort gemeint ist – verwende ich die aus Wörterbüchern bekannte Abkürzungsformel ‚erster Buchstabe und Tilde‘, aus Zigeuner würde also Z~, aus Zigeunerschnitzel würde Z~schnitzel und so weiter.“

Damit stellt sich die Frage, warum er nicht „Z~innen und Z~“ schreibt oder „Z~/innen“; denn er bekennt sich ausdrücklich zu solchen Verkrampfungen als der „einzigen Art der Sparschreibung, die den amtlichen Regeln der deutschen Rechtschreibung abgedeckt ist, wie im Duden-Ratgeber Richtig gendern ausgeführt ist. Der Ratgeber erschien 2017, enthält jedoch keinen Hinweis auf das Verfallsdatum.

Stefanowitsch scheint es nicht zu bemerken: Indem er beschrieben hat, wie er das belastete Wort vermeidet, hat er dieses Wort mehrfach verwendet. Wenn er sich darauf verlassen kann, dass die Leser, die er im Brustton der moralischen Überlegenheit „Leser/-innen“ nennt, leicht erkennen können, welches Wort gemeint ist, dann kann er auch sicher sein, dass sie das Wort sofort vor ihrem geistigen Auge haben und mit ihrem geistigen Ohr hören – nämlich das Wort „Neger“. Das Wort wird nicht vermieden, es kriegt zusätzliches Gewicht. Außerdem bleibt er uns den Hinweis schuldig, wie wir das aussprechen sollen. Da sind sich die Moralprediger, die uns Vorschriften machen wollen, untereinander gar nicht einig.

Das ist ausgesprochen schlecht. Im wahrsten Sinne: Wenn man den Text von Stefanowitsch laut vorlesen will, merkt man sofort, wie schlecht er ist; man stolpert, zuckt und stockt.

In der Diskurstheorie von Foucault zählt nicht nur das reine Sachargument, es kommt obendrein auf die Person an, die das Argument verwendet, sie gehört mit zu den so genannten „Dispositiven der Macht“ – und bei Foucault dreht sich sowieso alles um Macht, als die einzige treibende Kraft, die übrig geblieben ist. Es hat durchaus etwas für sich, die Person mit einzubeziehen. Die Teilnehmer an einem Diskurs werden so gesehen nicht nur zu passiven Empfängern von Argumenten, sie werden zugleich zu Subjekten, die als Bestandteile des Diskurses in den Machtkampf eingebunden sind. Es ist aber auch problematisch; denn das Argumentum ad hominem, das bisher als Foulspiel galt, wird auf diesem Weg wieder zulässig. Nun stellt sich die Machtfrage neu und wird persönlich: Wer sagt etwas? Wer hat das Sagen?

Wer sagt, dass wir den Ausdruck „Neger“ nicht verwenden dürfen? Wer hat in diesem Punkt überhaupt etwas zu sagen? Etwa Anatol Stefanowitsch? Who is Anatol Stefanowitsch? Sagt es etwa ein moralisches Gebot? Wer interpretiert das Gebot in diesem Sinne? Der Duden? Der Dudenverlag, der Stefanowitschs Schrift veröffentlicht hat, verleiht der Vorschrift zwar eine gewisse Autorität, die an den Namen und an das Werk von Konrad Duden geknüpft ist, doch die bezieht sich nur auf die Schreibweise – und auch die ist umstritten.

Also: Wer sagt es? Wer hat die Macht, so etwas zu bestimmen? Diese Frage stellt sich auch Jordan Peterson immer wieder, wenn er sich mit dem Denken von Foucault und insbesondere von Derrida anlegt: Who is going to decide? Das ist die Frage aller Fragen.

Stefanowitsch weiß es: Der Braune Mob e.V. und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Diese Organisationen haben schließlich deutlich gemacht, dass sie nicht so genannt werden wollen und dass daher die Bezeichnung „Neger“ aus dem Wortschatz der Deutschen getilgt werden muss. Sie haben auch entschieden, dass man nicht „Farbiger“ sagen soll und nicht „Schwarzafrikaner“. Na, dann. Wenn die das sagen, müssen wir uns auch danach richten und das gilt flächendeckend für alle N~Erwähnungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in Anführungsstrichen und in kritischer Reflexion. Wir haben uns dem braunen Mob zu fügen.

Jordan Peterson hatte die Frage, die er sich selbst gestellt hat, auch selbst beantwortet. Gemeint ist die Frage nach demjenigen, der die Machtposition beansprucht, bestimmen zu dürfen, wie wir sprechen sollen. Also: Wer entscheidet? Seine Antwort: Diejenigen, die dazu nicht legitimiert sind und von denen wir am allerwenigsten wollen, dass sie über uns bestimmen.

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