Profi-Bürger und Bürgerrechtler

von Felix Menzel vom 5. September 2019.

Wer als gebührenfinanzierte Moderatorin insinuiert, die AfD könne eine „bürgerliche“ Partei sein, löst Distanzierungen und Empörungswellen bis hinauf zur Bundesregierung aus. Die Schandtat geht auf das Konto von Wiebke Binder, die sich nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg erkundigen wollte, ob die bisher illusorische Paarung von CDU und AfD denn nicht doch unter bestimmten Voraussetzungen wie etwa einem glasklaren Votum des Souveräns möglich sei.

Natürlich darf es nach Ansicht von 99,5 Prozent des medialen Establishments niemals dazu kommen. „Nie wieder“, gilt schließlich nicht nur – völlig zu Recht – für den Nationalsozialismus, sondern auch für jede patriotische Regung des durch und durch bürgerlichen deutschen Volkes, das niemals eine Revolution anzetteln würde, ohne vorher ordnungsgemäß eine Bahnkarte am Schalter zu erwerben.

Die allermeisten Mitglieder der AfD besitzen diese eigentümliche Engelsgeduld mit ihrer Regierung ebenfalls. Keiner von ihnen würde jemals auf den Gedanken kommen, wenigstens am Freitagnachmittag die Arbeit niederzulegen, um auf die krassesten Rechtsbrüche von Merkel und ihrer Ministerriege aufmerksam zu machen. Denn der typische AfDler hat eine Familie zu versorgen. Er war früher einmal in der CDU, weil er hoffte, dort eine konservative Wende einleiten zu können. Und er pflegt am Wochenende den Garten, ohne sich deshalb gleich für den Ober-Ökologen zu halten. Wie, wenn nicht mit dem Attribut „bürgerlich“, sollte man diese Verhaltensweisen sonst umschreiben?

Selbst die Montagsspaziergänger aus Dresden scheren nicht weiter aus. Sie passen ins Muster der „Wutbürger“, das Dirk Kurbjuweit vom Spiegel bereits 2010 entdeckte. Wenn überhaupt Zweifel an der Bürgerlichkeit von Teilen des deutschen Volkes angemeldet werden können, dann ließen sie sich etymologisch begründen. Der Bürger stammt vom Burgbewohner ab. Ist also vielleicht die AfD die einzig verbliebene „bürgerliche“ Partei, weil sie die Notwendigkeit von Grenzen unterstreicht? Nein, das paßt auch nicht. Heutzutage führen sogar die sich antibürgerlich präsentierenden Guerillatruppen der Antifa ein bürgerliches Leben. Sie genießen das gute Mittagessen bei Mami oder lassen sich mit Bafög vom verhaßten Staat verköstigen.

Hinzu kommt: Gerade der Bourgeoisie wurde in den letzten 200 Jahren häufig eine reaktionäre Gesinnung attestiert. „Bürgerlich“ kann man also auch als Beschimpfung auffassen. Der Gegensatz dazu wäre „volksnah“, womit die AfD vermutlich präziser umschrieben wäre. Doch für solche Feinheiten der Sprachkonnotationen interessiert sich die hysterieanfällige politisch-mediale Klasse nicht.

Sie feilt aber um so zielstrebiger daran, aus dem einfachen Bürger einen „Profi-Bürger“ zu machen. Warum dieses flexible, anpassungsbereite Wesen notwendig sein soll, beschrieb Bazon Brock vor einigen Jahren folgendermaßen: „Das Leben/Überleben in den Megalopolen der globalisierten Welt führt unmissverständlich zu dem Schluss, dass wir entweder in die Behauptung kultureller Identitäten – und damit in permanente Bürgerkriege – hineingezwungen werden oder als zivilisierte, transkulturell orientierte Zeitgenossen eine neue Ebene der Gemeinsamkeit von auf engstem Raum zusammenlebenden Menschen finden müssen.“

Ohne mit der Wimper zu zucken, entscheidet sich Brock für Option Nummer zwei. Die Ausbildung von Profi-Bürgern sei unumgänglich für das neue Stadium der anbrechenden „Weltzivilisation“. Wer dagegen seine Kultur verteidigen wolle, rufe einen „Bekenntnisekel“ hervor und schränke die Freiheit der Individuen ein, meint er. Zum Vorschein kommt damit ein grotesker Freiheitsbegriff. Brock nimmt Meinungsverbote in Kauf, um das globale Miteinander auf „engstem Raum“ zu ermöglichen, obwohl wir spätestens seit Helmuth Plessner (Grenzen der Gemeinschaft, 1924) wissen sollten, daß selbst innerhalb einer Gesellschaft nur eine Kultur des Abstands Freiheit hervorbringen kann.

Diese zutiefst bürgerliche Kultur des Abstands, die anderes Fühlen, Denken und Handeln erlaubt, ist es, die von den „Profi-Bürgern“ zur Disposition gestellt wird. Susanne Dagen und Angelika Barbe haben in Nachdenken für Deutschland sehr eindrucksvoll protokolliert, welche Auswirkungen es für das private Umfeld hat, wenn man auf einmal als „pegidanah“ gilt. „Therapeutische und bewusst existenzzerstörende Maßnahmen“ seien die unmittelbare Folge.

Dagen berichtet darüber mit einer gewissen Scham, weil das Schreiben über Repressionserfahrungen an „Selbstkasteiung“ grenze. Der Grund dafür ist leicht einzusehen: Wer zugibt, der Meinungsfreiheit beraubt worden zu sein, gibt zugleich den Verlust der eigenen Bürgerlichkeit zu. Das ist schmerzhaft und erniedrigend.

Positiv nach vorne blicken läßt sich somit nur, wenn man eine historische Perspektive einnimmt. Dabei hilft der Essay von Angelika Barbe. Sie erinnert daran, daß „Bürgerrechtler“ immer ein „späterer Ehrentitel zur Würdigung widerständigen Verhaltens“ ist. Die Bürgerrechtler der DDR habe man früher natürlich nicht so bezeichnet. Sie seien vielmehr Teil der illegalen Opposition gewesen und wurden als „subversive Elemente“ beschimpft.

(Bildquelle: Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)


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