Kleine reaktionäre Westernkunde (1)

Redaktioneller Beitrag vom 19. Juli 2019.

Physiognomische Zugriffe. Red River

Daß ein Älterer einem Jüngeren etwas zeigt, das dieser später gut wird gebrauchen können, zumal in Notlagen, von denen der Ältere weiß, daß sie dem Jüngeren kaum erspart bleiben werden, das gibt es oft in klassischen amerikanischen Western. Es mag der eigene Vater sein oder ein vaterähnlicher Freund wie in Shane (George Stevens 1953), der dem Jüngeren, der die Gefahrenhaftigkeit der Welt in noch zu wenigen Details kennt, diese nahebringt, indem er ihm den Ernstfall vorführt. Und zwar „in echt“, nicht auf dem Papier, nicht im Nichtschwimmerbecken, schon gar nicht im einhegenden Gespräch, das den Jüngeren irgendwo „abholt“. Stattdessen macht der Ältere den Jüngeren zum Zeugen und Betroffenen (nicht aber zum Leidtragenden) einer Notlage wie auch ihrer Lösung. Die Geradlinigkeit des filmischen Erzählens der größten klassischen US-Western dockt an diese Unmittelbarkeit der „Ansage“ zwischen den Protagonisten an. Es ist gewissermaßen ein parataktisches Erzählen, das als Zeitform nur das Präsens kennt, das heißt die akute Gegenwartsform von Situationen, deren ausschweifendere Erschließung die Filme Zeit und die Figuren vermutlich Leben kosten würde. Um zu überzeugen, um sich wie die Protagonisten im Ernstfall zu bewähren, muß auch dieses Erzählen notwendig auf erläuterndes Beiwerk verzichten. Wie dieser Verzicht vonstatten geht, macht häufig die ganz eigene „Handschrift“ von Westernautoren wie John Ford, Howard Hawks, Budd Boetticher oder Anthony Mann aus.

In Red River (Hawks 1948) geht die Instruktionsszene so: John Wayne und sein etwa 12jähriger Ziehsohn sehen sich auf einer weiten, menschleeren Prairie zwei berittenen Mexikanern gegenüber, die genau dieses Stück Land für sich reklamieren wollen. Wayne behauptet, es gehöre ihm, kann es aber nicht beweisen. Man redet um den heißen Brei herum. An einer Stelle tritt Wayne wenige Schritte beiseite und bedeutet dem Ziehsohn mit einer kurzen Handbewegung, das Gleiche zu tun. Der eine Mexikaner lacht demonstrativ auf und greift verstohlen zum Revolver. Wayne aber ist schneller und erschießt ihn, den anderen Mexikaner jagt er davon. Wenn der Ziehsohn Wayne fragt, woher er gewußt habe, daß der eine schießen wollte, erhält er die Antwort: „Weil ich seine Augen beobachtet habe. Merk dir das!“ „Werde ich“, sagt der Junge. Wayne schaut ihn kurz an und nickt. Er weiß, das der Junge diese Lehre, die nirgends geschrieben steht, sondern die er nur hat erfahren können, nicht mehr vergessen wird.

Daß ein Blick oder eine Geste ausreicht, um eine prekäre Situation richtig zu deuten, daß es keiner Erschließung durch Worte bedarf, die die Betroffenen nämlich nicht weiter-, sondern vom Wesentlichen abbringen würde, das ist etwas, das man sehr gut von großen klassischen Western lernen kann. Gerade auch wir, hier und heute. Denn was ist nicht alles in den Augen derer zu erkennen, die unser Land zuschanden regieren. Das Offenbare – man muß es nur sehen und für voll nehmen.

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